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Leitartikel
Freie Fahrt für noch mehr
Aus ff 10 vom Donnerstag, den 07. März 2024
Handelskammer-Präsident Michl Ebner will den Verkehr auf der Autobahn „entzerren“. Damit uns das ganze Jahr die Ohren pfeifen.
Der Landesvermarkter IDM macht es seit einiger Zeit vor: Er bewirbt die touristischen Nebensaisonen, um die Hochsaisonen zu „entzerren“. Das soll dazu führen, dass in Monaten wie April oder November mehr los ist und dafür zu Fasching und Ferragosto weniger. Was in der Theorie einleuchtend klingt, ist in der Praxis reine Augenwischerei: Südtirol wird zur Hochsaison weiterhin von Touris gestürmt. Und auch in der Randsaison hat man bald keine Ruhe mehr vor ihnen. Das ist das wahre Ergebnis der Entzerrung.
Nun reiht sich auch Handelskammer-Präsident Michl Ebner in den Chor der Entzerrer ein. Er findet, dass die Brennerautobahn nicht umfassend gut genutzt wird: Während vor allem an Feiertagen wie Ostern und Pfingsten oder auch im Hochsommer die Kapazitätsgrenze erreicht werde, sei das im restlichen Jahr nicht der Fall.
Von den 365 Tagen im Jahr könne die Infrastruktur derzeit aufgrund des Nachtfahrverbots und des Wochenendfahrverbots „nur in circa 55 Prozent der Zeit uneingeschränkt für den Lkw-Verkehr genutzt werden“. Es sei deshalb nicht richtig zu behaupten, dass die Brennerautobahn an ihre Kapazitätsgrenze stößt. Ebner drängt darauf, das Nachtfahrverbot in Tirol abzuschaffen. Damit würde sich der Transitverkehr „nicht auf die Tagesstunden beschränken, in denen zusätzlich auch viele Pkw auf der Autobahn verkehren“.
Das stimmt. Dann würden uns auch die ganze Nacht, 24/7, wie junge Leute sagen würden, die Ohren pfeifen. Und das 365 Tage im Jahr. Der alte Transitbekämpfer Fritz Gurgiser schlägt über solcherlei Aussagen die Hände über dem Kopf zusammen. Und das zurecht. Denn Tirol hat die Fahrverbote nicht aus Jux und Tollerei erlassen. Sondern zum „Schutz der privaten und betrieblichen Anrainerschaft ebenso wie zum Schutz der internationalen Berufskraftfahrer“. Südtirols Politik ist bisher den Beweis schuldig geblieben, dass die eigenen Leute entlang der Autobahn geschützt werden sollen. Vielmehr versteckt sie sich hinter Verkehrsminister Matteo Salvini, der Österreich wegen der Verbote verklagte.
Salvini fordert freie Fahrt für den Warenverkehr, gerade so, als ob Waren wichtiger wären als Menschen. Dabei müsste er alles daran setzen, die Brennerstrecke vom Lkw-Verkehr zu entlasten. Das würde bedeuten, endlich die Maut nach oben anzupassen. Die Strecke Rosenheim–Verona kostet einen Lkw 37 Cent pro Kilometer; über den Gotthard in der Schweiz zahlt er 84 Cent pro Kilometer; noch teurer sind die französischen Alpenübergänge Fréjus (156 Cent) und Mont Blanc (194 Cent). Das lässt viele Lkw den Umweg über den Brenner nehmen – einfach weil es billiger ist.
Doch anstatt auf Mauterhöhungen zu drängen, auf Fahrverbote oder auf die Verlagerung von Waren auf die Schiene, wollen Salvini und Ebner uns weismachen, dass freie Fahrt das Allheilmittel sei.
Die dauerbelastete Infrastruktur macht diesen Zirkus nicht länger mit. Die Lueg-Brücke hinter dem Brenner muss ab 2025 aufwendig saniert werden, weil sie wegen der unzähligen Vierzigtonner vorzeitig ruiniert wurde. Und die anderen Brücken, von denen es zwischen Innsbruck und Bozen nicht wenige gibt, werden dem Beispiel folgen. Das wird die Verkehrsmisere entlang der Autobahn noch einmal verschlimmern. Scheinheiliges Gerede vom „Entzerren“ hilft uns da nicht weiter.
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