ff 6/2025 brachte eine Titelgeschichte über Maturabälle. Unser Gastautor Heiko Meier erhebt Einspruch.
Leitartikel
Die Schönheit des Systems
Aus ff 09 vom Donnerstag, den 27. Februar 2025
Trump & Co wollen die Demokratie, wie wir sie kennen, zerstören. Umso mehr braucht es Konservative, die klug bewahren und vorsichtig reformieren.
Das politische Schlagwort der Stunde ist „Disruption“. „Disrupt“ kommt aus dem Englischen und meint: zerstören. In der Wirtschaft umreißt der Begriff die Ablösung von alten Produkten oder Märkten durch Innovation, durch das Neue, das das Alte hinwegfegt.
Zerstörerische Kraft haben etwa die sozialen Medien entwickelt. Sie haben eine neue Informationsfreiheit geschaffen und gleichzeitig eine Informationsflut provoziert, die wie ein Tsunami über uns hereingebrochen ist. Neben Fakten spülen sie Lügen in unser Gehirn. Es hat schon mit Silvio Berlusconi begonnen und setzt sich jetzt mit Donald Trump oder Alice Weidel fort: Aus Fakten wurden alternative Fakten, was nur ein anderes Wort für Lügen ist.
Doch jetzt sind Lügen oft die neue Wahrheit. Die unverschämteste Lüge von Donald Trump war etwa, dass die Ukraine Russland angegriffen hat. Impfgegner und Covid-Leugner behaupten immer noch, dass die Impfung gegen Corona für viele Menschen tödlich war, obwohl längst das Gegenteil belegt ist.
Disruptoren sind Zerstörer, sie sind also keine Konservativen, die bewahren und vorsichtig erneuern. Sie wollen etwas anderes, was es ist, wissen sie selbst vielleicht nicht so genau, aber es wird keine freiheitliche, sondern eine autoritäre Ordnung sein. Ihr Idol ist neben Donald Trump der argentinische Präsident Javier Milei. Sein Symbol ist die Kettensäge.
Die Disruptoren machen Politik mit der Kettensäge. Sie entlassen Menschen, streichen Förderungen, schließen Behörden, stoßen weite Teile der Bevölkerung in die Armut, behindern die Justiz und die Medien. Sie verwandeln sich also in kleine oder große Diktatoren, die „Deals“ machen, Gesetze missachten, den politischen Gegner verhöhnen, Kompromiss für ein Unwort halten. Das alles im Namen eines Systemwandels. Systemwandel ist das neue Unwort. Welches neue System soll das alte ersetzen? Etwa eine autoritäre Ordnung die liberale Demokratie. Zum Glück ist in Südtirol die Zahl der Disruptoren noch klein.
Das alte System hat seine Schwächen. Es ist träge, wehrt sich gegen Reformen, hat zugelassen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Aber es hat, trotz allem, grundlegende Freiheiten bewahrt, es hat, trotz allem, die Menschenrechte beachtet, es hat, trotz allem, für Ausgleich und Gerechtigkeit gesorgt, es hat, trotz allem, die Medienfreiheit geachtet. Man sollte also denen misstrauen, die einen totalen Systemwandel fordern.
Man muss fast schon froh sein, dass die Kräfte der Beharrung in Südtirol stark sind, im Landtag nur ein paar Zerstörer sitzen. Die keine Achtung vor Regeln haben, glauben, es müsse etwas total Neues entstehen, ohne zu wissen, wohin das führt. Das ist die Logik der Technologie-Unternehmen: Wir probieren etwas aus, wissen aber nicht genau, wie das geht, aber es wird schon werden – auch wenn es dabei Opfer gibt und man dabei gar einen Systemabsturz riskiert.
Was das System dringender denn je braucht – das haben auch die Wahlen in Deutschland gezeigt –, sind Konservative, die klug bewahren und vorsichtig reformieren. Und dabei achten, was uns ausmacht, soziale Gerechtigkeit, unabhängige Justiz und Medien, Menschenrechte und individuelle Freiheiten.
So gesehen ist Südtirol kein schlechter Platz zum Leben.
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