Leitartikel

Tourismusrekorde: Darm mit Charme

Ein idealer Satz, so der Journalist Wolf Schneider, ist ein Satz, der in wenigen Wörtern von höchster Bekanntheit eine klare, überraschende Aussage macht. „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“, zum Beispiel. Oder „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“. Vergangene Woche beschenkte uns HGV-Direktor Raffael Mooswalder mit einem ähnlich idealen Satz über den Südtiroler Tourismus: „Wenn vorne mal was rauskommen soll, dann muss irgendwann mal was reinkommen.“ Wow!

Wer will da widersprechen? Die üblichen Nörgler natürlich, sprich Natur- und Umweltschützer, die unseren neuesten Nächtigungsrekord reflexartig kritisieren. 37 Millionen zählt Südtirol mittlerweile, Tendenz steigend, und kein lächerlicher Bettenstopp kann dagegen etwas ausrichten. 2024 lagen wir nur hinter Griechenland und der Türkei, aber auch die Ägäis werden wir noch putzen. Der Rest von uns hingegen nimmt die neuen Zielmarken mit einem gelassenen Schulterzucken zur Kenntnis, schließlich wurden wir an unser „wirtschaftliches Zugpferd“ über Jahre gewöhnt. Ein Pferd ist ein Pferd, und wenn oben was reinkommt, kommt hinten bestimmt das Richtige raus.

Freilich steckt hinter dieser gastro-intestinalen HGV-Beschreibung auch ein Kalkül: Wer den Tourismus als natürlichen Verdauungstrakt beschreibt, als eine Art Mensch-Maschine, die mit Reisenden gefüttert wird und Wohlstands-Dünger hinterlässt, will, dass möglichst keine Diskussionen aufkommen. Kann man einen Stoffwechsel infrage stellen oder eine Niere auf den Prüfstand? Nein, man kann sich höchstens um Verstopfungen kümmern, darauf achten, dass alles richtig flutscht. Schon Loriot wusste um Südtirols beste Gastgeberqualitäten: „Auf dem Campingplatz in Bozen liegen die Waschräume separat.“

Was unsere Hoteliers jedoch auch bedenken sollten: Jauche und Mist sind wertvolle Produkte, notwendig und vielseitig nutzbar – aber darin leben? Nein, danke. Nicht alles, was flutscht, ist reibungsfrei. Oder wie die große Südtirol-Urlauberin Angela Merkel es rausdrücken, pardon, ausdrücken würde: „Man muss die Dinge vom Ende her denken.“ Auch so ein idealer Satz.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

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