Leitartikel

Wahlbeteiligung: Dann lass es halt!

Aus ff 19 vom Donnerstag, den 08. Mai 2025

Magere 59,9 % der Wahlberechtigten in Südtirol haben sich vergangenen Sonntag dazu bequemt, an die Wahlurnen zu gehen. Nicht einmal jede*r Zweite konnte sich in Meran dazu aufraffen, in meiner Wohnsitzgemeinde hatten 48,2 % offenbar etwas Besseres vor.

Nun kann man über die Gründe für diese Wahl­müdigkeit sinnieren und wird zu keiner allgemeingültigen Antwort kommen (Das Datum! Das Wetter! Die Politikverdrossenheit! Der Individualismus!). Was man aber sehr wohl feststellen kann: Es ist ein Skandal, und nein, er ist nicht zu rechtfertigen. Wem das Wetter zu schön ist, um eine halbe Stunde seinem hart erkämpften Bürgerrecht zu widmen, der möge getrost wegbleiben. Wer sich nach dem Kurzurlaub nicht danach fühlt, noch kurz im Wahl­lokal vorbeizuschauen, der soll es lassen. Wer die mangelnde Auswahl beklagt, die „falschen Kandidaten“, „das ändert ja eh nix“, der lasse sich beim nächsten Mal selbst aufstellen oder reiße sich verflixt noch mal am Riemen: Man muss die Kandidat*innen nicht ehelichen, es muss auch nicht der Messias dabei sein. Es genügt, sich für die Köpfe zu entscheiden, mit denen man halbwegs klarkommt. Zwei oder drei werden da schon dabei sein, ansonsten habe ich ein unrealistisches Anspruchsdenken oder mich im Vorfeld zu wenig informiert

Einfach wegbleiben und so tun, als wäre Wählen einelästige Pflicht und nicht das Privileg, das es ist (fragen Sie mal bei Menschen nach, die in Diktaturen leben), ist zu billig, und es ist auch kein Protest. Wer protestieren will, gehe hin und schreibe meinetwegen den Weihnachtsmann auf. Damit zeige ich: Ich nehme die Wahl ernst, aber ich bin nicht zufrieden. Gar nicht hinzugehen ist die schlechteste aller Optionen, und sie entbindet mich auch von der Möglichkeit, mich die nächsten fünf Jahre lang über die Politik in meiner Gemeinde aufzuregen, weil ich nichts, aber auch gar nichts dafür getan habe, um etwas daran zu ändern. Wer nicht wählt, lässt andere für sich entscheiden. Das ist für einen großen Teil der Bevölkerung offenbar mittlerweile ­völlig in Ordnung.

von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin

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