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Leitartikel
Kinder lassen sich nicht kaufen
Die Regierenden können niemanden zwingen, Kinder zu bekommen. Aber sie können Rahmenbedingungen schaffen, die wenigstens nicht abschrecken.
Es ist nicht mehr zu übersehen: Südtirol hat ein Geburtenproblem. War es früher mal eine Selbstverständlichkeit, Kinder zu bekommen, so ist dem heute nicht mehr so. Südtirol steht damit nicht alleine da. Weltweit sinken die Geburtenraten. Selbst Länder mit großzügiger Familienpolitik spüren den Trend. In Finnland etwa ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau trotz umfangreicher Förderungen auf
1,26 gefallen. Gleichzeitig wird eine immer älter werdende Gesellschaft zum finanziellen Belastungsfaktor.
Wer jetzt überrascht tut, lebt entweder in einer Blase oder er heuchelt. Fachleute warnen seit Jahrzehnten vor dieser Entwicklung. Und die Situation wird nicht besser, wenn der französische Präsident Emmanuel Macron von einer „demografischen Wiederaufrüstung“ spricht oder Südkorea den „nationalen demografischen Notstand“ ausruft.
Während die politische Debatte in hohlen Slogans und gut gemeinten, aber oft wenig durchdachten Anreizen versinkt, läuft uns die Zeit davon.
Zunächst die nackten Zahlen: 2014 wurden in Südtirol noch 5.500 Geburten gezählt, 2024 waren es landesweit wenig mehr als 4.500. Im Moment liegt die Anzahl der Geburten pro Frau bei etwa 1,5 Kindern. Die Geburtenrate sinkt, die Lebenserwartung steigt – dazwischen eine immer älter werdende Gesellschaft, die keine Lust hat, sich fortzupflanzen. Und junge Menschen, die von Südtirol abwandern, fast 14.000 in den Jahren 2011 bis 2023.
Und wie reagieren die politisch Verantwortlichen? Man schraubt ein bisschen an den Steuersätzen und am Familiengeld, lockt mit neu erbauten Kita-Gebäuden (für die man aber kein Personal hat) und verteilt ein paar tröstende Worte bei Bürgerversammlungen.
Freilich, eine einzige universelle Erklärung für diese demografische Entwicklung gibt es nicht – und schon gar keine universellen Lösungen. Geld allein jedenfalls – eine rein monetäre Geburtenförderung – wird die demografische Entwicklung langfristig nicht beeinflussen. Finanzielle Familienförderung ist zwar wichtig, ihre Wirkung aber sollte man nicht überschätzen.
Der Kern der Debatte ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Alltag macht es Eltern, vor allem Müttern, nicht leicht, sich für ein Kind – oder gar mehrere Kinder – zu entscheiden. Die Gründe sind bekannt: Betreuungszeiten, die die Arbeitszeiten nicht spiegeln, und eine Doppel-Vollzeit-Norm, die oft der ökonomischen Notlage entspringt. Vereinbarkeit ist heute immer noch keine Selbstverständlichkeit, sondern ein täglicher Kraftakt.
Die Idee einer kinderfreundlichen Gesellschaft? Bleibt vorerst eine leere Phrase und wohl auch ein Traum. Schuld sind weder Frauen noch Männer. Die gesamte Gesellschaft versagt bei der Idee, die Kinder ins Zentrum des allgemeinen Handelns zu stellen.
Es ist schon erstaunlich, mit wie wenig Elan und Hartnäckigkeit Politik und auch Wirtschaft den demografischen Wandel anpacken. Statt sich über Wolfsabschüsse zu ereifern, sollte die Debatte um Familienpolitik endlich an Fahrt gewinnen.
Vielleicht geht es aber auch längst nicht mehr um die Frage, wie wir mehr Kinder bekommen können. Vielleicht geht es vielmehr um die Frage, ob wir als Gesellschaft noch fähig sind, eine Idee für die Zukunft zu entwickeln, die das langfristige Wohl aller – und nicht nur einiger weniger Interessengruppen – in den Blick nimmt. Ein Land, das nicht auf seine Kinder schaut, schaut auch nicht mehr auf sich selbst. Das ist die wahre Tragik.
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