Literatur – Caroline Wahl: (gm) Der neue Roman von Caroline Wahl (30, sie lebt in Kiel) erzählt von einem Verleger, der ein ...
Leitartikel
Gefangen im Mehr
Südtirol stößt an seine Grenzen. Trotzdem wollen wir immer prächtigere Häuser, breitere Straßen und größere Lifte bauen. Ist das der richtige Weg?
Südtirol ist ein alterndes Land. Der Nachwuchs mag nicht mehr so recht kommen (siehe dazu auch ff 33/2025), die Bevölkerung wird immer älter. Südtirol wächst nur noch durch Zuwanderung. Das wird bis circa 2050 so bleiben, danach wird die Bevölkerung schrumpfen. So sagt es das Landesstatistikinstitut voraus.
Dies macht uns deutlich, dass Wachstum endlich ist und nicht unendlich. Das gilt auch für unser Land: Südtirol stößt an seine Grenzen.
Trotzdem wollen wir immer prächtigere Häuser, breitere Straßen und größere Lifte bauen. Ist das der richtige Weg? Muss es tatsächlich immer mehr und mehr sein? Sollten wir nicht kurz innehalten und uns besinnen?
Betrachten wir die Sache anhand von drei Beispielen.
Beispiel eins: Die Gletschermumie Ötzi soll eine neue Behausung erhalten, die alte tut’s nicht mehr, sie sei zu klein. Mehr als 300.000 Menschen besuchten sie im Vorjahr, das sei zu viel für das Archäologiemuseum in der Bozner Museumstraße.
Ötzi soll daher umgesiedelt werden. Ein Gebäude ist bereits gefunden. Es steht in der Bozner Dantestraße, wird bald gekauft und umgebaut. Kostet mehr als 100 Millionen Euro. Und soll wenigstens 400.000 Leute anlocken.
Beispiel zwei: Der Chef des Bezirksrats, Robert Alexander Steger, will die Pustertaler Straße dreispurig machen. Denn die derzeitige Situation sei einfach nicht mehr tragbar. Es gebe zu viele Staus – und zu wenig flüssigen Verkehr.
Einen so großen Bezirk wie das Pustertal über eine einzige Straße mit anderen Gebieten zu verbinden, sei nicht mehr tragbar. Daher sei eine dritte Spur auf besonders belasteten Abschnitten notwendig. Solche Spuren gibt es andernorts bereits. Abwechselnd können hier einmal die Fahrzeuge auf der einen und einmal auf der anderen Spur überholen.
Beispiel drei: Überlastet ist zeitweise auch die Seilbahn auf die Seceda in Gröden. Im Sommer bildeten sich an der Mittelstation lange Schlangen und auch im Winter muss man an dieser Stelle oft lange warten, bis man in die Pendelbahn auf den Gipfel umsteigen kann.
Daher drängt die Betreibergesellschaft darauf, die alte Pendelbahn mit einer modernen Gondelbahn zu ersetzen. Das hätte zur Folge, dass pro Stunde nicht mehr 800, sondern 2.400 Personen transportiert werden können.
Die Beispiele zeigen: Wir sind gefangen im Mehr. Wir überlegen gar nicht mehr, ob auch andere Lösungen möglich wären. Unser Mantra lautet: prächtiger, breiter, größer.
Dabei wäre es reizvoll darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn nur noch 250.000 Leute pro Jahr den Ötzi besuchen. Womöglich wären sie glücklicher, wenn sie sich nicht im Weg stünden beim Blick auf die Leiche?
Und wäre es nicht gut, mit mehr Muße durch das Pustertal zu fahren? Im Zug vielleicht, dabei ein Buch lesend oder mit einem anderen Reisenden plaudernd. Statt gestresst und verärgert am Lenkrad eines Wagens zu hängen, in der Gewissheit, doch wieder zu spät anzukommen.
Oder die Menschen, die die Seceda besuchen: Hätten sie es nicht verdient, langsamen Schrittes die sanften Almwiesen erkunden zu dürfen? Nicht in einer halben Stunde, sondern einen ganzen Tag lang. Um wie viel schöner wäre das, anstatt von lärmenden Menschenmassen umzingelt ein Foto zu knipsen – und wieder abzuhauen, weil man nicht im Trubel ersticken möchte.
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