Leitartikel

Sie wollen wissen, was sie schon wissen

 

Eine Online-Befragung unter dem Bildungspersonal? Im Ernst?

Die Südtiroler Landesregierung muss blind und taub sein. Wie anders nämlich ließe sich erklären, dass sie nun eine Online-„Impulsbefragung“ unternimmt, durch die sie erfahren will, wie es den Menschen geht, die in der Bildungswelt arbeiten. Das fragt die Landesregierung jetzt, da die Schule von Protestaktionen der Lehrerschaft erschüttert wird! Das fragt sie, nachdem es in den vergangenen beiden Jahren im Landtag zwei Anhörungen mit Vertretern aller Bildungsstufen und aller drei Sprachgruppen gegeben hatte. Das fragt sie, nachdem die Schulgewerkschaft im ASGB im Frühjahr 2024 von unzählig vielen Pädagoginnen ein „Stimmungsbild zum Schulalltag“ eingeholt hatte. Das fragt sie jetzt, da die zwei Lehrer-Aktionsgruppen in den vergangenen Monaten mehrmals ihre Probleme und Vorschläge kommuniziert haben!
All das ist schriftlich festgehalten. Abgesehen davon vergeht wohl kaum ein Tag, an dem nicht im Büro des Bildungslandesrats Lehrpersonen oder Führungskräfte mit ihren alltäglichen Schulproblemen vorstellig werden.
Weiß die Landesregierung, wissen die Bildungslandesräte also wirklich immer noch nicht, was in den Schulen los ist, woran es hakt, mit welchen Herausforderungen Lehrpersonen täglich zu tun haben – wie es den Schülerinnen und Schülern in diesem System geht?
Das kann nicht sein. Diese Online-Impulsbefragung ist deshalb ein Hohn. Was bitte bringt es, ein weiteres Papier zu produzieren – einen sogenannten „Impulsplan“, wenn man gleichzeitig ignoriert, was bislang gesagt wurde?
Bildungslandesräte und Landeshauptmann hätten sich schon seit Langem zusammentun und das Thema Bildung zur Priorität erklären können. Haben sie aber nicht. Von einer pädagogischen Großtagung im Herbst 2024 ist überliefert, dass der Bildungslandesrat da noch sagte: „Wir wissen, dass es eher fünf nach als fünf vor zwölf ist.“
Seitdem ist ein Jahr vergangen. Die Uhr tickt weiter. Und der Handlungsbedarf wird größer. Wenn wir unsere Probleme in den Schulen nicht lösen, werden wir die Trendwende auch auf anderen Feldern nicht schaffen. Südtirol kann es sich nicht leisten, auch nur einen einzigen jungen Menschen zu verlieren.
Es fällt schwer, diese Politik noch ernst zu nehmen. Die Online-Befragung mutet wie ein Ablenkungsmanöver an, nach dem Motto: Wir, Politiker, sind die Guten, wir machen alles richtig. Man komme den Forderungen der Lehrerschaft ja nach: Bildungsdialog, Gehaltsverhandlungen. Also sollen sie jetzt gefälligst zufrieden sein – und die Protestmaßnahmen sein lassen. Selbstkritik? Fehlanzeige.
Das Vertrauen in die Landesregierung ist zerrüttet. Das ist schwerwiegend. Denn um die gewaltigen Probleme im Dampfkessel Schule zu bewältigen, müssen die Betroffenen darauf vertrauen können, dass es den Politikern wirklich ernst ist mit ihrem Reformversprechen. Auf die Online-Befragung könnte die Regierung gut verzichten. Tut sie aber nicht. Im Gegenteil, sie setzt noch einen drauf. Im April 2026 soll es einen „Impulsgipfel“ geben. Dann wird man über all das reden, was man heute schon weiß. Vielleicht resultieren daraus ja wieder einige Pilotprojekte für wenige Schulen.
Wenn die Landesregierung so weitermacht, wird sie bei ihrem Impulsgipfel ziemlich einsam sein. Aber vielleicht fühlen sich die verantwortlichen Politiker ja am wohlsten, wenn sie mit sich selber reden. 

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