In den letzten Ausgaben der ff berichteten wir über die Auswirkungen von Corona auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik
Politik
Viel Applaus, wenig Kohle
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Krankenpflegerinnen, Verkäuferinnen, Busfahrer & Co halten in der Coronakrise unser Leben am Laufen. Doch dafür, was sie jetzt leisten, sind sie schlecht bezahlt.
Viele Frauen sind es, die in der Coronakrise das System aufrecht halten: Kassierinnen, Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Putzpersonal, Badanti. In diesen Berufen arbeiten in der Mehrzahl Frauen – ähnlich ist es auch in der Schule und im Kindergarten.
Die Frauen, die an der Kassa sitzen, kranke und alte Menschen pflegen oder das Krankenhaus reinigen, verdienen schlecht. Ähnlich ist es in den „systemrelevanten“ Berufen, in denen Männer in der Mehrzahl sind, Männer, die oft ein Fahrzeug lenken: Bus- oder Lkw-Fahrer, die in diesen Tagen manchmal entlang der Autobahn nicht einmal mehr eine Toilette zum Pinkeln finden. Viele von ihnen arbeiten weit über die vorgeschriebene Arbeitszeit hinaus, vor allem die Arbeiterinnen und Arbeiter im Gesundheitsbetrieb häufen Überstunden an.
In Südtirol halten die Löhne nicht mit den Lebenshaltungskosten mit. Diese liegen über dem gesamtstaatlichen Durchschnitt: um satte 23 Prozent. So hat es das Arbeitsförderungsinstitut Afi errechnet. Zwischen 2010 und 2017 lag der Anstieg der Löhne und Gehälter
(6,6 %) unter der Inflationsrate (7,4 %). Vor den Landtagswahlen 2018 versprach Landeshauptmann Arno Kompatscher eine Gehaltsoffensive, doch selbst im öffentlichen Dienst gestalteten sich die Lohnverhandlungen zäh.
„Uns wäre Recht“, sagt Dieter Mayr, stellvertretender Generalsekretär des SGB-Cisl, „wenn man von Sozialpartnerschaft nicht nur reden, sondern sie auch richtig leben würde. Die Löhne in den Sektoren, die gerade die Gesellschaft aufrecht halten, sind viel zu niedrig.“
Dieter Mayr, der auch Präsident des Afi ist, hat für ff die Löhne und Gehälter errechnet, die Nettolöhne hat er dabei mit Hilfe der Website www.irpef.info kalkuliert. Nettolöhne hängen etwa davon ab, ob jemand Familie hat, in einen Zusatzrentenfonds einzahlt, befristet, unbefristet oder saisonal beschäftigt ist.
Doch die Zahlen geben Aufschluss darüber, wie Gesellschaft und Wirtschaft die Menschen wertschätzen, die jetzt als Heldinnen und Helden gefeiert werden und denen die Politik vom Balkon aus Beifall spendet.
Aufgelistet sind zuerst das Brutto-, dann das Nettogehalt und zuletzt das Netto-Jahresgehalt (in Euro) – das, was am Ende nach Sozialabgaben und Lohnsteuer in der Brieftasche bleibt (bei Krankenpflegerinnen, Altenpflegerinnen und Sanitätern beim Weißen Kreuz handelt es sich um Anfangsgehälter mit Aufgabenzulage, bei den anderen Berufsgruppen um Anfangsgehälter, die Zahlen sind gerundet).
- Badante (im Haushalt mitlebend): 984 (13x); 950; 12.350
- Badante (nicht im Haushalt mitlebend): 1.182 (13x); 1.100; 14.300
- Reinigungskräfte: 1.183 (14x); 1.011; 14.154
- Busfahrer: 1.534 (14x); 1.229; 17.206 (ihr Gehalt erhöht sich etwa durch Turnusdienste)
- Kassierin, Verkäuferin: 1.625 (14x); 1.285; 17.990
- Briefträger: 1.715 (14x); 1.340; 18.760
- LKW-Fahrer: 1.750 (14x); 1.362; 19.068 (Gehalt erhöht sich durch „trasferte“).
- Sanitäter Weißes Kreuz: 1.805 (14x); 1.457; 20.398
- Stadtpolizist: 1.983 (13x); 1.604; 20.852
- Altenpflegerinnen: 1.983 (13x); 1.593; 20.709
- Bankbeamte: 2.259 (13x); 1.619; 21.047
- Krankenpflegerinnen (Sanität): 2.414 (13x); 1.710; 22.230
- Krankenpflegerinnen (Sozial-bereich): 2.414 (13x); 1.820; 23.660
„Für diese Leute“, sagt Tony Tschenett, Vorsitzender des ASGB, „muss man etwas tun, es sind diejenigen, die sich jetzt einer Gefahr aussetzen.“ Die Gewerkschaften sind jetzt freilich anderswo eingespannt als bei Lohnverhandlungen: 1.500 Handwerksbetriebe (Stand: Montag) haben schon um eine Sonderausgleichskasse angesucht; die Patronate sind überlastet, Vorgänge, die bisher in einer Stunde zu erledigen waren, ziehen sich jetzt über Tage hin; die Mitarbeiter kommen mit der Arbeit nicht mehr hinterher, die Server stocken, die Kundschaft ist oft digital nicht so fit. Wer hat schon einen Scanner daheim, um Dokumente einzulesen und dann zu verschicken?
Ganz oben in der Liste der Verdiener stehen laut einer Erhebung des Amtes für Arbeitsmarktbeobachtung aus dem Jahr 2017 (Netto-Durchschnittslöhne nach 20 Arbeitsjahren) die Ärzte (4.720 Euro), Führungskräfte (3.030 Euro) oder Universitätsprofessoren (2.740 Euro). Eine Mehrheit der Südtiroler (53 Prozent) ist der Meinung, dass Löhne und Gehälter nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten stehen und eine noch größere Mehrheit (83 Prozent) hält die Unterschiede zwischen Arm und Reich für „groß“ oder „sehr groß“.
Inzwischen haben verschiedene Sektoren eine Prämie für die Mitarbeiterinnen in Aussicht gestellt, der Sanitätsbetrieb etwa oder die Lebensmittelgiganten Aspiag (in Summe eine Million Euro) oder M-Preis (500.000 Euro). In einigen der „systemrelevanten“ Sektoren laufen noch die Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag, für den Handel oder im Pflegebereich, wo der Vertrag seit 2018 verfallen ist.
Der Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger (Team K) ist selber ein Opfer von Corona. Er sitzt daheim und wartet auf das Ergebnis der Tests, die seine Genesung untermauern sollen. Er sagt: „Diese Menschen werden nicht entsprechend ihrer Wichtigkeit für die Gesellschaft entlohnt, das ist eines der Dinge, über die nach der Krise eingehend zu reden sein wird.“ Das Team K fordert für die Angestellten im Gesundheitsbetrieb eine Risikozulage und die Aussetzung der Parkplatzgebühren.
Hanspeter Staffler war lange Generaldirektor des Landes Südtirol, seit zwei Jahren sitzt er für die Grünen im Südtiroler Landtag. Er sagt: „Diese Menschen verdienen sich eine Prämie, in Form von Geld oder von Sonderurlaub. Und sie verdienen sich, dass man nach Ende der Krise sich mit Fairness ihre Kollektiverträge anschaut und nachbessert. Es muss einem spätestens jetzt klar sein, wie wichtig diese Menschen sind und wie mutig.“
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