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Politik

„Ihr könnt mich mal“

Aus ff 45 vom Donnerstag, den 05. November 2020

Krankenhaus
Ist es möglich, dass in all diesen Monaten niemand daran gedacht hat, dass es nicht nur Intensivbetten und Geräte braucht, sondern auch gut ausgebildetes Fachpersonal, das sich um die schwer kranken Patienten kümmert? © Alexander Alber
 

An diesem Montag hat die Krankenpflegerin Maria Weissteiner* das erste Mal in ihrem Leben gestreikt. Gleichzeitig wandte sie sich an ff, in der Hoffnung, „dass die da oben endlich aufwachen“.

Seit fünfzehn Jahren bin ich Krankenpflegerin, in all dieser Zeit ist es mir noch nie in den Sinn gekommen, dass ich den falschen Beruf gewählt haben könnte. Ich war immer überzeugt, dass es etwas Wunderbares ist, genau diesen Beruf ausüben zu können.

Jetzt, in diesem fürchterlichen Herbst 2020, ertappe ich mich immer öfter dabei, dass mir Zweifel kommen, ja dass ich drauf und dran bin, alles hinzuschmeißen – und zu sagen: Ihr könnt mich mal.

Wir Krankenpflegerinnen sind es gewohnt, mitunter auch etwas barsch herumkommandiert zu werden. Das liegt daran, dass manche Ärzte und Verwalter an einer hierarchischen Struktur festhalten. Kolleginnen, die in der Schweiz oder in Innsbruck gearbeitet haben, wissen, dass es auch anders geht: interdisziplinäres, gemeinsames Arbeiten. Dort begegnen sich Ärzte und Pflegekräfte auf Augenhöhe, hier in Südtirol tun Ärzte vielfach so, als wären die Krankenpflegerinnen ihre Angestellten. Das ist schon mal nicht gut fürs Betriebsklima.

Die fehlende Wertschätzung für unseren Beruf gab es freilich schon vor dieser Pandemie. In diesen Monaten hat sich die Situation allerdings deutlich verschärft, auch wenn man versucht hat, sie mit salbungsvollen Worten und der Ankündigung von Prämien und Gehaltsaufbesserungen zu kaschieren. Heldinnen seien wir, hat es geheißen. Ja vielleicht, sage ich, aber nicht weil wir tun, was wir immer getan haben, sondern weil wir – leider – den Kopf hinhalten und kuschen. Die Schuld daran haben auch wir selbst: Wir sind gewerkschaftlich schlecht organisiert, wir treten weder nach innen noch nach außen als kompakte Einheit auf. Kurzum: Wir Pflegekräfte sind alles andere als kämpferisch, wir ziehen nicht an einem Strang.

Als beschlossen wurde, am Krankenhaus Bozen eine Covid-Intensivstation einzurichten, hat man offenbar an alles gedacht – nur nicht an uns. Es stehen dort Räumlichkeiten und Geräte bereit, super, es gibt dort Ärzte, super. Aber was ist mit den Pflegekräften? Ist es möglich, dass in all diesen Monaten niemand daran gedacht hat, dass es nicht nur Intensivbetten und teures Gerät braucht, sondern auch gut ausgebildetes Fachpersonal, das sich um die schwer kranken Patienten kümmert?

Also werden wir „freiwillig“ aus der Peripherie nach Bozen abkommandiert. Positiv: Es gibt dafür 500 Euro brutto mehr, auch die Übernachtungsspesen übernimmt der Sanitätsbetrieb. Negativ: In Bozen sind wir völlig auf uns allein gestellt. Da wir um 6:45 Uhr in der Früh bereits im Krankenhaus sein müssen und oft erst spätnachts ins Hotel kommen, gibt’s weder Frühstück noch Abendessen. Hat niemand daran gedacht?

Unser Grundgehalt beträgt 1.350 Euro netto. Mit Zulagen und Überstunden kommen wir gerade mal auf rund 2.000 Euro netto. Hat jemand daran gedacht, dass abkommandierte Pflegekräfte eine Familie und Kinder haben könnten, dass es für sie nicht ganz so einfach ist, einfach mal für einen Monat nicht zu Hause zu sein?

Vor einigen Tagen war ich schon auf dem Weg nach Bozen, als ich zurückgepfiffen wurde. Inzwischen wurde beschlossen, auch in Brixen und Schlanders Covid-Intensivstationen einzurichten. Blöd nur, dass man vergessen hat, die zuständigen Leute zu informieren. Nicht mal die Koordinatoren wussten Bescheid – und dass ich umsonst nach Bozen gefahren bin, was soll’s!

Derzeit werden an den Krankenhäusern einige Abteilungen ausgeräumt, um die Struktur für Covid-Normalpatienten zu adaptieren. Das entsprechende Personal wird ebenfalls abgezogen und neu zugeteilt. Mittels einer Nullachtfünfzehn-Schulung werden die Pflegerinnen auf ihre neue Aufgabe in den Covid-Stationen vorbereitet. Als ob das so einfach wäre.

Covid-Patienten müssen von Fachpersonal betreut werden. Auch in den sogenannten Normalstationen haben wir es oft mit Patienten zu tun, die sich in einer Subintensivsituation befinden – sie müssen nahezu rund um die Uhr betreut werden.

Es gibt wenige Krankenpflegerinnen, die nach der Schule eine Sonderausbildung für Intensivpflege gemacht haben. Diese Sonderausbildung erweist sich in dieser Pandemie als extrem wichtig. Der Witz: Wer das entsprechende Diplom in Innsbruck gemacht hat, ist draufgekommen, dass es in Südtirol nicht anerkannt wird. Anerkannt im Sinne der Zulagen ist nur der Master „in area critica“, ein Onlinekurs mit abschließender „Prüfung“ in Neapel.

Wenn Intensivpflegekräfte abgezogen werden, verbleiben in der Peripherie vielfach nur mehr Nichtintensivpflegekräfte. Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass es Intensivpflege nicht nur für Covid-Patienten braucht, sondern auch in den normalen Abteilungen. Jene Kolleginnen, die in den normalen Abteilungen allein gelassen werden, obwohl sie zu wenig ausgebildet sind, erleben einen Stress, wie man ihn sich nicht vorstellen kann.

Ich will die Arbeit der Ärzte nicht schmälern, im Gegenteil: Sie leisten Hervorragendes. Aber: Während sie mal kurz beim Patienten vorbeischauen, den Tubus fixieren und Anweisungen geben, sind wir es, die ihn betreuen, drehen, die beim Intubieren assistieren, ihn beim Abhusten unterstützen, damit er nicht erstickt. Wir sind es, die konstant beim Patienten sind, wir sind es, die 150 Kilo schwere Mannsbilder in Bauchlage bringen und sie dann drehen und wieder aufrichten – versuchen Sie das mal! Das machen wir meist zu dritt, zu viert, ja oft zu fünft! Es fühlt sich an wie Hochleistungssport.

Jetzt ist es so, dass den Ärzten nicht nur eine höhere Covid-Prämie zugestanden worden ist, sondern dass sie die Prämie bereits erhalten haben, während wir auf die versprochenen 1.750 Euro Brutto immer noch warten. Auch hier: Es geht nicht so sehr ums Geld, sondern um die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wird.

In den Südtiroler Intensivabteilungen beträgt das Verhältnis Patient: Pfleger 3:1, das heißt, jede Pflegekraft betreut drei Patienten. Damit erfüllen wir nicht die von der EU vorgeschriebene Norm. Das bedeutet aber vor allem, dass wir unsere Arbeit nicht bestmöglich ausüben können, eben weil wir unterbesetzt sind.
Ich will mich nicht in verwaltungstechnische Angelegenheiten einmischen, aber: Die Zusammenarbeit am Krankenhaus Bozen zwischen der Normalintensivabteilung und der Covid-Intensivabteilung ist alles andere als optimal. Offensichtlich wurde verabsäumt, diesen notwendigen Schritt entsprechend zu planen und mit den Verantwortlichen abzusprechen. Die Stimmung ist schlecht – und das wirkt sich auch auf die Qualität der Dienste aus. Neben den Patienten sind in erster Linie wir Krankenpflegerinnen die Leidtragenden.

Jetzt baden wir die Versäumnisse der vergangenen Jahre aus: In Südtirol fehlen die Pflegekräfte. Warum? Erstens wegen der Besoldung, die hierzulande deutlich schlechter ist als im benachbarten Ausland. Zweitens wegen der fehlenden Wertschätzung. Das Berufsbild der Krankenpfleger ist alles andere als positiv.

Meine Kolleginnen und ich hatten gehofft, dass die Verantwortlichen die relativ ruhigen Sommermonate dazu nutzen, um sich optimal auf die zweite Welle vorzubereiten. Dass diese kommen würde, war uns allen klar.

Jetzt ist festzustellen, dass diese Vorbereitungszeit nicht genutzt worden ist. Die Situation ist ebenso chaotisch wie im Frühjahr – und vieles deutet darauf hin, dass sich die Situation in den kommenden Wochen verschlimmern wird.

Wie gesagt, ich mische mich nicht gern in fremde Angelegenheiten ein. Aber da mich diese Angelegenheiten in erster Person betreffen, sage ich es: In der Südtiroler Sanität gibt es zu viele Chefs, etwa die am Schreibtisch. Diese arbeiten nicht nur häufig aneinander vorbei, sondern haben oft auch noch wenig Ahnung von der realen Situation, die an den Krankenhäusern herrscht. An diesem Montag habe ich zum ersten Mal in meinem bisherigen Berufsleben gestreikt. Unsere Minimalforderungen: Anhebung des Grundgehaltes in Form einer Vertragserneuerung, wobei wir endlich als eigene Berufsgruppe anerkannt werden wollen. Obwohl meine Abwesenheit niemandem aufgefallen sein dürfte, da ich Nachtdienst und tagsüber also frei hatte, war es für mich trotzdem wichtig, mich als Streikende anzumelden und dabei die finanzielle Pönale in Kauf zu nehmen. Ich fürchte, dass der Streik wenig Wirkung haben wird: Zum einen hat nur die nationale Gewerkschaft Nursing Up zum Streik aufgerufen, nicht aber der ASGB. Außerdem konnten wegen der Zwangsverpflichtungen sämtliche Dienste aufrechterhalten werden.

Ich wäre dafür, mal richtig zu streiken, also die Arme wirklich zu verschränken. Ich wäre auch bereit, mit den Angehörigen der Patienten zu sprechen und sie aufzufordern, sie sollten doch mal einen Tag lang versuchen, unsere Arbeit zu übernehmen. Vielleicht würde das helfen.

Vielleicht helfen auch diese Zeilen, die Verantwortlichen in der Sanität und in der Politik aufzurütteln. Ganz habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Notiert von: Norbert Dall’Ò

*Name von der Redaktion geändert

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