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Politik
„Kurz’ Image ist dauerhaft beschädigt“
Aus ff 41 vom Donnerstag, den 14. Oktober 2021
Österreich erlebt gerade ein politisches Erdbeben, Sebastian Kurz musste als Kanzler zurücktreten. Was ist da eigentlich los im Vaterland?
Jetzt ist schon wieder was passiert: Österreich wird, gerade einmal zwei Jahre nach Ibiza, zum zweiten Mal von einem politischen Skandal durchgeschüttelt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen den ÖVP-Bundesobmann und mittlerweile Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie gegen seine engsten Berater und hat dafür den Inhalt zahlreicher Chatverläufe zwischen den Beteiligten rekonstruiert.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Steuergeld soll rechtswidrig verwendet, Umfragen frisiert und Medien geschmiert worden sein. Die Sprengkraft der Chats geht aber weit über etwaige strafrechtliche Konsequenzen hinaus, sie lesen sich wie das Protokoll einer verschworenen, Kurz zutiefst ergebenen politischen Clique, die nur ein Ziel hatte: Kurz an die Macht zu bringen und ihn dort zu halten.
Der 35-Jährige ist als Konsequenz am vergangenen Samstag vom Amt des Bundeskanzlers zurückgetreten, „vorerst“, wie es heißt. Aber was heißt das jetzt genau?
ff: Herr Professor Filzmaier, wie oft haben Sie sich in den vergangenen Tagen gedacht: „Hoppla, was kommt denn da noch alles auf uns zu?“.
Peter Filzmaier: Ich bin 2019 mit dem Auf-kommen des Ibiza-Videos durch eine harte Schule gegangen und habe gelernt, es gibt -politisch nichts, was es nicht gibt. In den vergangenen Tagen habe ich das zum zweiten Mal gelernt. Ebenfalls auf die harte Tour. Beides, Ibiza und die Chats und -Korruptionsvorwürfe, hätten nie passieren -dürfen. In beiden Fällen gibt es einen erschütternden -Einblick in Macht- und Intrigenspiele der Politik. Wir erleben gerade den zweiten Megaskandal innerhalb kürzester Zeit.
Vom Super-Basti zum Bad Boy Kurz, wie konnte Sebastian Kurz so schnell so tief fallen?
Kurz hat immer polarisiert, das war Teil seiner Strategie. Er war für die einen in überhöhter Form der Messias und für die anderen der Gottseibeiuns. Für einen Wahlkämpfer ist das legitim, für einen Bundeskanzler, der in Krisenzeiten alle Österreicherinnen und Österreicher gleichermaßen ansprechen soll, war das schon vor den aktuellen Vorwürfen problematisch.
Welcher der Vorwürfe, die Kurz und seinem Team gemacht werden, wiegt am schwersten?
Es gibt zwei Vorwürfe, die für seine politische Zukunft gleichermaßen schwerwiegend und problematisch sind. Da sind an erster Stelle die strafrechtlichen Ermittlungen gegen eine Gruppe von zehn Personen, darunter Sebastian Kurz, denen Untreue, Bestechung und -Bestechlichkeit vorgeworfen wird. Steuergeld soll rechts-widrig verwendet worden sein, um willfährige Berichterstattung, so der Vorwurf, für geschönte Umfragen zu kaufen. Es gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Aufgekommen sind diese Vorwürfe durch die Beschlagnahmung eines Handys und einer Unzahl von Chats mit -Sebastian Kurz und über Sebastian Kurz, was man für ihn tun will. In diesen Chats gibt es eine zweite Ebene an Vorwürfen, die strafrechtlich vermutlich nicht relevant, aber politisch schwerwiegend sind. Da geht es nicht nur um ordinäre Kraftausdrücke wie Arsch und alte Deppen, sondern darum, dass sich Kurz etwa gegen eine Kinderbetreuung im -Ausmaß von 1,2 Milliarden Euro stellte. Aber nicht weil er ein sachliches Gegenargument gehabt hätte, sondern weil er -seinem Parteiobmann -Reinhold Mitterlehner keinen Erfolg gönnte.
Das ist ein trauriges Sittenbild. Der einzelne Kraftausdruck ist eine dankbare Medienschlagzeile, aber man darf nicht vergessen, wo der eigentliche Kern der Vorwürfe liegt.
Wie wirkt sich das auf das Vertrauen der -Bürgerinnen und Bürger in die Politik aus?
Politik befindet sich in einer tiefen Vertrauens-krise, die zunehmend von einer Parteien- und Politikerverdrossenheit zu einer generellen Politik-verdrossenheit und, so ist zu befürchten, vielleicht zu einer Demokratieverdrossenheit -führen wird. Die österreichische -Demokratie ist zwar nicht in ihrem Bestand gefährdet, aber massiv in ihrer Qualität. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat 2019 nach dem Ibiza-Video in einer Fernsehansprache gesagt:
„So sind wir nicht.“ Das hat er dieses Mal nicht mehr gesagt. Das politische Vertrauen in -Österreich ist auf viele Jahre schwer beschädigt.
Kommentatoren sprechen von einem System Kurz. Was ist darunter zu verstehen?
Das Spinnen eines Netzwerkes im eigenen Büro, in allen anderen Ministerien, in der Partei, aber auch in Medien und Wirtschaft, mit dem Hauptziel der Erlangung und -Sicherung der eigenen Macht.
Macht gilt als Droge mit hohem Suchtpotenzial.
Politikwissenschaftler sind keine Hobbypsychologen, aber die Stärke von Sebastian Kurz war immer die hochprofessionell organisierte Kommunikation. Die Gelder, die dafür ausgegeben wurden, auch öffentliche Gelder, sind vervielfacht worden. Das Zweite war das Machtstreben. Man hat Kurz schon früher vorgeworfen, dass eine klare ideologische Vorstellung, wie eine Gesellschaft sein muss, und auch eine thematische Mission bei ihm oft nicht erkennbar waren. Er war sehr anpassungsfähig. Wie Sebastian Kurz politisch wirklich tickt, das hat man nicht erfahren.
Und wie tickt die ÖVP, seit Kurz ihr Obmann ist?
Sebastian Kurz hat die Partei ganz offiziell durch ein Marketingprojekt verändert. Er hat ihr einen neuen Namen gegeben, er hat eine neue Parteifarbe und ein neues Parteilogo eingeführt. Erst später kamen, aber bei -Weitem nicht so grundlegende, Veränderungen im Parteiprogramm. Parteien meinen, dass starke Führungspersönlichkeiten eher gewählt werden als Parteiorganisationen. Das ist eine -Konsequenz der Mediendemokratie. Die neue ÖVP hatte eine extreme Orientierung auf Kurz, und auch seine Erzählung in der eigenen Partei beruhte nicht auf „Mit mir gibt es völlig neue Inhalte“, sondern auf „Mit mir gewinnt ihr Wahlen.“
Ist die ÖVP noch eine bürgerliche Partei mit konservativer Wertehaltung?
Die ÖVP ist nach wie vor eine klassisch -konservative und rechtskonservative Partei mit einem kleineren liberalen Flügel. Kurz hat bei klassischen Themen wie Sicherheit und Zu--wanderung und damit auch Flucht und Asyl aber eine Rechtspositionierung vorgenommen. Allerdings weiß man da wieder nicht, ob er ein Überzeugungstäter war oder nur aus -strategischen Gründen gehandelt hat, weil er der FPÖ -Wählerstimmen wegnehmen wollte.
Für viele europäische Konservative war -Sebastian Kurz eine Lichtgestalt, vor allem in Deutschland …
In den sozialen Medien gibt es gerade den -Running Gag, Kurz hätte vielleicht bald -genügend Zeit, und die Deutschen könnten ihn haben. Aber es stimmt, in Deutschland, aber auch ganz generell, sind Parteien auf seine Erzählung aufgesprungen. Wo haben konservative Parteien sonst Wahlen gewonnen mit Gewinnen im zwei-stelligen Prozentpunktebereich? Vorbilder sind aber sehr wandelbar. Zehn Jahre vor Kurz war das -konservative Role Model eine Politikerin, die nicht gegensätzlicher sein könnte: Angela Merkel.
Wer weiß, wer als Role Model in fünf oder zehn Jahren gesehen wird?
War es von Kurz strategisch klug, sich jetzt zum ÖVP-Klubobmann wählen zu lassen?
Für ihn persönlich ist es machtpolitisch die bestmögliche Entscheidung. Der Klubobmann der Kanzlerpartei ist bei allen Regierungssitzungen dabei, und auch bei allen Vor- und Nachbesprechungen zwischen Kanzler und Vizekanzler. Und im Parlament sitzt er an der zentralen Stelle bei der Umsetzung von Gesetzesvorlagen. Unabhängig von den Spekulationen, wie sehr er Strippenzieher des neuen Kanzlers Alexander Schallenberg sein kann, er bleibt an der Schaltstelle der Macht.
Österreich wird künftig von zwei Kanzlern regiert?
Das wird sich erst zeigen. Es kann sein, dass Kurz das Parlament nicht als Machtzentrale, sondern als Bühne der Selbstdarstellung nutzt. Die Knochenarbeit der parlamentarischen Demokratie wird er nicht erledigen. Man weiß aber auch noch nicht, in welcher Position der Stärke oder Schwäche er sich innerhalb der Partei befindet. Da gibt es unterschiedliche Signale. Der neue Bundeskanzler hat ihm sehr auffällig den Rücken gestärkt, von Landesparteichefs der ÖVP gibt es aber auffallend kritische -Interviews. Das Spektrum der Entwicklungen ist sehr breit: von Machtzentrale bis Demontage durch Parteikollegen.
Was wäre die politische Alternative gewesen? Eine Regierung von SPÖ, Grünen und Neos samt Duldung durch die FPÖ?
Das ist der entscheidende Punkt, warum die Türkis-grüne-Koalition fortgesetzt wird. Nicht weil das eine besonders gute Lösung ist, sondern weil alle anderen Lösungen noch instabiler oder gar nicht machbar gewesen wären. Die Bildung einer Regierung mit der FPÖ oder eine Duldung durch sie hätte für alle anderen Parteien eine Zerreißprobe bis hin zur Spaltung bedeuten können. Andere Varianten, wie etwa ein Experten-kabinett, wären nur eine Übergangslösung gewesen. Dann wären nur noch Neuwahlen geblieben. Das wäre für alle Parteien ein All-in wie beim Poker gewesen.
Wann wird es Neuwahlen geben?
Die Regierung hat das Glück eines zeitlichen Zufalls. Wenige Wochen vor dem Aufkommen der Vorwürfe gegen Ex-Kanzler Kurz wurden die Verhandlungen über eine Steuerreform und das Budget 2022 abgeschlossen. Das hilft über die nächsten Monate bis ins nächste Jahr. Anfang 2022 wird sich zeigen, wie stabil oder brüchig diese Koalition ist und was mit Sebastian Kurz längerfristig passiert. Aber es ergeben sich neue Probleme. Die kürzeste Frist bis zu einem Neuwahltag sind drei Monate, im Herbst wird aber ein neuer Bundespräsident gewählt. Es wäre demokratiepolitisch heikel, einen Nationalrat zu wählen, aus dem die Regierung hervorgeht, und parallel einen Bundespräsidenten, der die neue Regierung ernennen und angeloben muss. Der Status in Österreich: Es ist und bleibt politisch kompliziert.
Ist Kurz dauerhaft beschädigt?
Sein Image ist mehrfach dauerhaft geschädigt. Den Inhalt der Chats bestreitet ja niemand, auch Kurz nicht. Aber er ist auch in seinem Gewinner-image beschädigt. Er hat sein Amt verloren, auch wenn er betont, er hätte nur einen Schritt zur Seite gemacht. Wir kennen in der deutschen Sprache Rücktritte und Seitensprünge, aber keine Seitentritte.
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