Wirtschaft

„Ci scusiamo per il disagio“

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 09. März 2017

Hubert Egger
Hubert Egger fährt seit 35 Jahren Bus: Ihm machen vor allem die langen Dienstspannen zu schaffen – gerade weil sie sich vermeiden ließen. © Alexander Alber
 

Achtmal haben die Fahrer der Sad im vergangenen halben Jahr gestreikt, zuletzt am Mittwoch dieser Woche. Ein Tag mit einem Busfahrer und einem Lokführer zeigt, warum.

Hinter dem Lenkrad des Busses, der am Autobahnhof in Klausen einfährt, sitzt ein Mann mit dunklem Haar, Spitzbart, Lachfalten um die Augen, Brille auf dem Kopf. „Steigt ein“, ruft er den zwei verloren wirkenden Personen an der Haltestelle zu. Es ist kurz nach 13 Uhr, Hubert Egger sitzt bereits seit 10.15 am Steuer. Um 20.30 Uhr endet seine letzte Fahrt. Er setzt die Brille auf, notiert die Fahrt, dann fährt er los. „Nicht dass ihr schreibt, ich würde nicht pünktlich starten“, sagt Egger und lacht. Er trägt ein hellblaues Hemd, darüber einen dunkelblauen Pollunder, an dem die Anstecknadel der Sad befestigt ist.
Egger dreht am Lenkrad, biegt links ab, fährt auf die Grödner Straße, biegt dann wieder ab auf die ­Brennerstaatsstraße Richtung Bozen. Eine kurvige Bergstraße führt zum Ziel der Fahrt: Barbian. Hubert Egger, 56, kommt aus Barbian und ist seit 35 Jahren Busfahrer. „Eigentlich habe ich den idealen Job“, sagt er. Dennoch hat der 56-Jährige im vergangenen halben Jahr achtmal gestreikt. Warum nur?
Egger erzählt von langen Turnusdiensten, von unbezahlten Pausen, von der wenigen Freizeit, die nach den Diensten bleibt. Er sagt: „Manche Tage hören einfach nicht mehr auf.“
Heute – es ist Montag, schulfrei – ist keiner dieser Tage. Heute ist es angenehm, sagt er. Heute fährt er 10 Stunden und 15 Minuten, unterbrochen von kurzen Pausen. Angenehm – verglichen mit dem längsten Turnusdienst: Der beginnt um 5.52 Uhr und endet um 19.30 Uhr. Dazwischen liegen 13,5 Stunden. 3 Stunden und 54 Minuten davon sind Pause. Unbezahlte Pause. Nur die effektive Arbeitszeit wird bezahlt – also die 9,5 Stunden, in denen der Busfahrer auch tatsächlich den Bus bewegt. Ausnahmen sind Pausen, die weniger als eine halbe Stunde dauern, sie werden vergütet. Und Pausen, bei denen sich der Busfahrer außerhalb des Dienstsitzes aufhält. Für die bekommt er 20 Prozent der Zeit entlohnt: So verdient Egger in einer Stunde Pause außerhalb seines Dienstsitzes Klausen so viel wie in 12 Minuten Fahrtzeit. Muss er eine längere ­Pause in Klausen absitzen, fährt er nach Barbian und verbringt die freie Zeit mit seiner Familie.
Bei Turnusdiensten mit bis zu 45 Stunden pro Woche bleibt die Freizeit oft auf der Strecke. Eggers Arbeitsvertrag beläuft sich auf 39 Stunden Arbeitzeit pro Woche. Auf dem Dienstplan findet sich jedoch kein Turnus mit weniger als 40 Stunden. Das liege auch daran, dass es zu wenig Fahrer gibt, sagt Egger. Sad-Berater Rudi Rimbl bestätigt: Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 24 Kündigungen, 15 davon von Fahrern. Einige seien in Pension gegangen, vier hätten den Job gewechselt, sagt Rimbl. Die Fahrer, die bleiben, müssen die 61.234 Turnusse abdecken. Die Arbeitstage werden länger. Die Freizeit kürzer.

Einer, der Bescheid weiß über die Situation der Sad-Busfahrer, ist Richard Goller, Fachsekretär in der Gewerkschaft ASGB. „Die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert, seit Ingomar Gatterer Haupteigentümer der Sad ist“ – das ist der erste Satz, den er sagt, wenn er nach den Gründen für die Streiks gefragt wird.
Und es wird klar: Es geht nicht nur um Dienstspannen, die zu lang sind, und unbezahlte Pausen. Es geht auch um eine Führungsspitze, die scheinbar nichts an der Situation der Fahrer ändern will. Verbesserungsvorschläge gebe es einige – die Turnusdienste könnten anders organisiert werden, mehr Personal könnte die Fahrer entlasten – viele davon würden nicht umgesetzt. Warum, darüber kann Goller nur mutmaßen: „Es sieht so aus, als wollten sie keinen Cent mehr ausgeben als nötig.“ Auch wenn die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs darunter leidet – und die Fahrgäste.
Darauf angesprochen, sagt Sad-Berater Rudi Rimbl: „Wir werden nicht mehr Personal einstellen, um Veränderungen der Turnusse vorzunehmen, wenn die Zahl der gefahrenen Kilometer gleich bleibt.“ Er sei jedoch bereit, jeden Turnus abzuändern, sollte es nicht mehr kosten.

Hubert Egger blättert in einer ­Mappe. Darin sind die verschiedenen Turnusdienste aufgelistet. Vor nicht allzu langer Zeit hat Egger Stunden damit verbracht, jeden einzelnen Dienst zu überprüfen und zu überlegen, wie sie sich anders einteilen ließen. Und er hat Alternativen gefunden.
Eine davon ist ganz simpel: Die erste Fahrt des längsten Turnusdienstes um 5.52 Uhr führt von Klausen zum Sambergerhof, zum Brixner Krankenhaus und wieder zurück. Um 8.05 Uhr steht der Bus wieder in Klausen, der Busfahrer hat fast 2,5 Stunden Pause – bis 10.29 Uhr. Diese Fahrt könnte einem anderen Turnus angehängt werden – dem, der um 8.39 Uhr in Klausen beginnt und um 16.28 Uhr dort endet. Würde der Busfahrer, der um 8.39 Uhr in Klausen startet, die Fahrt von 5.52 Uhr bis 8.05 Uhr mitmachen, so hätten die beiden Turnusdienste neun und neuneinhalb Stunden Dienstspanne statt knappen acht Stunden und 13,5. Diese Änderung hat Egger der Sad-Führung vorgeschlagen. Ohne Erfolg. Seine Stimme wird lauter: „Immer wieder bin ich auf taube Ohren gestoßen.“ Warum, kann er nicht verstehen. Den Betrieb würde es nichts kosten, sagt Egger. Die Mappe schaut er sich nun nicht mehr an.
Es ist kurz vor 17 Uhr. Der Bus ist heute bereits sechsmal den Weg bis nach Saubach gerollt – fast schon automatisch hat Egger das Fahrzeug den Berg hoch und runter gelenkt. In Waidbruck steigen einige Fahrgäste aus. Hubert Egger fährt weiter. Noch dreieinhalb Stunden lang.

Mirko Cioffi, 37, wird an diesem Tag bis 23 Uhr im Lokführerabteil des Zuges sitzen und von Meran nach Bozen fahren – immer wieder hin und zurück. Es ist Mittwoch. Cioffi, dunkle Haare, Dreitagebart, arbeitet seit 13 Jahren bei der Sad als Lokführer. Er mag die Arbeit. Auch weil er andere Arbeitsstellen kennt und andere Arbeitsbedingungen: Lange Zeit hat er als Postbote gearbeitet. Und jetzt beim Zug. Für ihn überwiegen die positiven Seiten des Berufs. Dazu gehört der Lohn. Er verdient etwa 1900 bis 2000 Euro netto im Monat, das Geld wird pünktlich überwiesen. Für Nachtdienste und Überstunden gibt es Zulagen.
Obwohl ihm die Arbeit gefällt, hat Cioffi gestreikt. Der Lokführer erzählt von Urlaubstagen, die oft erst einen Tag vor dem Urlaub genehmigt werden. Von Turnussen im Pustertal, eineinhalb Stunden Fahrt entfernt von seinem Wohnsitz in Meran – das sind drei Stunden Fahrt hin und zurück, die er nicht bezahlt bekommt. Er erzählt von Nächten, die er in Innichen oder am Brenner verbringen muss, weil er mit dem letzten Zug bis zum Endbahnhof fährt und am nächsten Tag mit dem ersten Zug dort startet. Was ihn aber vor allem stört, ist der Bereitschaftsdienst. Denn: Wer Bereitschaft hat, erfährt meist erst am Vortag um 16 Uhr, wann, wo, wie lange und ob er am nächsten Tag überhaupt fahren muss. Doch er muss abrufbereit sein.
Es ginge auch anders, sagt Cioffi. Mit mehr Personal. Stattdessen werde es weniger. Auch beim Zugdienst der Sad hat Personal gekündigt. Das hat zum Teil mit Geld zu tun, wie ein Lokführer erzählt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er sagt: 1.521,01 Euro brutto betrage das Einstiegsgehalt der Sad-Lokführer laut Kollektivvertrag. Zusätzlich gibt es noch 3,95 Euro pro Fahrtstunde – 395 Euro in 100 Stunden. Im Vergleich dazu verdienen Trenitalia-Fahrer 1.749,05 Euro brutto und zwölf Euro pro Fahrtstunde.
Hubert Egger und Mirko Cioffi gehören zu den wenigen, die mit ihrem Namen zu ihren Aussagen stehen. Die anderen Gesprächspartner der ff wollen anonym bleiben – aus Angst, es könnte Probleme geben, wenn die Führungsspitze herausfindet, was sie sagen. „Es gibt einfach keinen Respekt vor dem Privatleben“, sagt einer. „Würde die Sad das Personal besser behandeln, gäbe es die bestehenden Probleme nicht“, so ein anderer.
Eigentlich müssten die Streiks und die Kündigungen die Firma wachrütteln – und auch die Landesregierung. Sie ist der direkte Auftraggeber der Sad, sagt Richard Goller vom ASGB: „Das Land müsste ein Machtwort sprechen und sagen: So geht es nicht weiter.“ 
Elisabeth Pörnbacher

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  • Mirko Cioffi

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