Wirtschaft

35 Millionen jeden Tag

Aus ff 14 vom Donnerstag, den 02. April 2020

Betrieb
Tor zu, Betrieb stillgelegt: So wie diesem geht es vielen Unternehmen in ­Südtirol, derzeit arbeiten wegen der Corona­krise nur 4 von 10. © Alexander Alber
 

Das Virus hat längst auch die Wirtschaft im Land befallen. Viele Unternehmen stehen still oder arbeiten mit angezogener Handbremse. Wie lange ­können wir das durchhalten?

Wasser, möchte man meinen, sollte krisenfest sein. Wasser wird immer getrunken. Auch Mineralwasser. Dem ist allerdings nicht so. „Die Hälfte der Belegschaft ist daheim, die andere Hälfte arbeitet“, sagt Andreas Fellin, Geschäftsführer und Eigentümer von Plose-Mineralwasser. Das Brixner Unternehmen beschäftigt rund vierzig Mitarbeiter, etwa zwanzig sind nun daheim, bauen Resturlaub ab.

Fellin hofft, so wie viele andere Unternehmer, dass die Beschränkungen, modern Shutdown oder Lockdown genannt, nach Ostern rasch wieder aufgelockert werden. Und dass auch die Bars, Restaurants und Hotels wieder zu arbeiten beginnen. Denn eine beachtliche Menge des Mineralwassers aus seinem Betrieb wird dort konsumiert.

„Wir fahren auf 50 Prozent der Produktion“, sagt Andreas Fellin, um etwa diesen Prozentsatz werde auch der Umsatz des Unternehmens schrumpfen. Das hält ihn aber nicht davon ab, Südtirols Rettungsdienste kostenlos mit Mineralwasser zu versorgen. Damit wolle man denjenigen danken, die sich rund um die Uhr unermüdlich gegen die Seuche stemmen.

Covid-19, die Viruserkrankung, die täglich für neue Hiobsbotschaften sorgt, hat längst auch die Wirtschaft erfasst. Nicht nur in Südtirol, sondern auf der ganzen Welt. Die Börsen vermelden dramatische Einbrüche, erste Unternehmen gehen in Insolvenz, Fluggesellschaften müssen mit Steuergeld vor der Pleite gerettet werden.

Und die Krise ist längst nicht zu Ende. Vielmehr, sagen Fachleute, ist das erst der Anfang. Das neuartige Coronavirus zeigt, wozu es imstande ist. Es kann ganze Volkswirtschaften lahmlegen, es bringt nahezu alle Bereiche in Bedrängnis. Vom Tourismus über die Dienstleistungen bis hin zu den Produktionsbetrieben.

Die Seuche frisst sich quer durch alle Branchen, nicht alle trifft sie gleich, nicht alle zur selben Zeit. Und gerade das macht sie so unberechenbar. Besonders betroffen sind Italien und Spanien, zwei Länder der Eurozone, die bereits vor der Pandemie schlechte wirtschaftliche Werte aufwiesen.

Die Wirtschaft schwächelt seit Jahren, Reformen blieben aus oder wurden nur halbherzig angegangen, die Staatsschulden übersteigen ein vorstellbares Ausmaß. Nun kommt die Corona-krise dazu, befallen sind vor allem die wirtschaftlich starken Räume. Das kommt nicht von ungefähr: Gerade dort, wo die Wirtschaft brummt, ist der internationale Austausch groß. Das Virus breitet sich in solchen Gegenden viel leichter aus. Also etwa in der Lombardei, im Veneto oder auch in Südtirol, den wirtschaftlichen Kraftkammern des Landes.

Nun stehen diese Regionen, diese Länder still. Viele Unternehmen mussten ihre Tätigkeit einstellen oder sie fahren mit angezogener Handbremse. Ihre Mitarbeiter sitzen zu Hause. Die Frage ist: Wie lange können wir das durchhalten?

Nicht sehr lange. Das sagen praktisch alle von ff befragten Experten, darunter auch Federico Giudiceandrea, Präsident des Südtiroler Unternehmerverbands. „Gesundheit ist wichtig“, sagt er, „aber man muss auch an die Wirtschaft denken.“

Wer glaube, dass die Löhne und Steuern, die die Betriebe zahlen, vom Staat übernommen werden, werde sich schwer täuschen. Denn weder der Staat noch das Land hätten das Geld dafür. Auch die öffentliche Hand sei auf Einnahmen angewiesen, die vor allem von Betrieben und arbeitenden Menschen kommen. Mit den Einnahmen kann die öffentliche Hand dann etwa das Gesundheitssystem finanzieren.

Giudiceandrea fürchtet vor allem „solche Panikaktionen“, wie sie die italienische Regierung mit der kompletten Schließung von Betrieben durchführt. Andere Staaten, sagt er, würden sich davor hüten, ihre komplette Wirtschaft herunterzufahren. Das sei auch gar nicht notwendig, es hätte genügt, die Hygiene- und Abstandsregeln rigoros einzufordern und zu kontrollieren.

So aber werde es zu einer Verdrängung der italienischen Exportunternehmen am globalen Markt kommen. Bereits jetzt drängen deutsche Autohersteller ihre italienischen Zulieferer zur Herausgabe der Werkzeuge für die Fertigung. Damit wären Unternehmen in anderen Ländern in der Lage, die Teile herzustellen, die bisher italienische Betriebe produziert haben.

„Klar“, sagt Federico Giudiceandrea, „wir sind im Krieg.“ Im Krieg gegen ein Virus. Aber auch in einem Krieg müsse man die Versorgung der Bevölkerung garantieren und das Bestehende so weit wie möglich hüten. Dies hätten noch nicht alle verstanden.

Einer, der das von Berufs wegen verstehen muss, ist Georg Lun. Der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo der Handelskammer in Bozen arbeitet zurzeit zu Hause, im Homeoffice. Das funktioniere recht gut. Schwierig sei lediglich die Koordination der Mitarbeiter. Er rechnet damit, dass etwa 80 Prozent der Produktivität des Wifo erhalten bleiben.

Dieser Wert gelte längst nicht für alle Branchen, in einigen werde die Produktivität wesentlich stärker unter dem Virus leiden. Und wie viel kostet uns das? Hierfür, sagt Lun, seien bereits eine Reihe von Berechnungen durchgeführt worden, eine zum Beispiel vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung an der Uni München. Diese hält er für sehr realistisch auch für Südtirol.

Das Ifo-Institut hat errechnet, dass allein in Deutschland die Beschränkungen der Wirtschaft zwischen 255 und 495 Milliarden Euro kosten. Und zwar dann, wenn sie zwei Monate andauern. Je länger sie aufrechterhalten werden müssen, desto gravierender wären die Folgen. Über den Daumen gepeilt werde das Bruttoinlandsprodukt (Bip) jeden Monat um 5 Prozent sinken. Die Auswirkungen sind dramatisch: Unternehmen geraten in Schieflage, Arbeitsplätze werden abgebaut, Menschen in die Armut getrieben.

Das Ifo rechnet für Deutschland mit bis zu 1,8 Millionen Arbeitslosen und mit mehr als 6 Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit.

Die öffentlichen Haushalte würden mit einer Mehrbelastung von bis zu 200 Milliarden Euro rechnen – ohne Berücksichtigung der geplanten Bürgschaften und Kredite. Fazit: Die Coronapandemie werde Kosten verursachen, „die voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen in Deutschland zumindest der letzten Jahrzehnte bekannt ist“.

Auch in Südtirol, sagt Wirtschaftsforscher Lun, werde das Bip monatlich um etwa 5 Prozent sinken, solange die derzeitigen Beschränkungen aufrecht bleiben. Dies bedeute ein Minus von etwa einer Milliarde Euro pro Monat. Oder von rund 35 Millionen Euro jeden Tag. Dass es mit einem Monat getan sein wird, glaubt Lun nicht. Er hofft aber, dass die Wirtschaft nach zwei Monaten wieder durchstarten könne.

Wie gut und reibungslos das erfolgt, hänge stark von den Maßnahmen ab, die die Regierungen in Rom und Bozen treffen. Die Krisenpakete, die die Politik schnürt, sagt Lun, seien bislang gut, nun müsse man sehen, dass sie auch schnell dort ankommen, wo sie gebraucht würden.

Gnädiger in seiner Prognose zeigt sich das Landesinstitut für Statistik Astat. Es konstatiert, dass derzeit zwar viele Betriebe stillstehen, dennoch aber vier von zehn offen sind. Daher werde der Bip bei einer Sperre von einem Monat um 1,6 Prozent sinken, bei zwei Monaten um 3,8 und bei drei Monaten um
5,6 Prozent.

Wobei auch das Landesstatistikinstitut festhält: Je länger die Schließung der Betriebe anhält, desto langsamer werde sich die Wirtschaft erholen. Dauere sie länger als drei Monate, wäre „auch ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um 20 Prozent möglich“.

Zudem schließt das Astat weitere Wellen der Epidemie nicht aus. Nachdem die erste Welle abklingt, könnte eine zweite, vielleicht heftigere Welle im Herbst folgen. Das könnte die Menschen beispielsweise davon abhalten, Urlaubsbuchungen vorzunehmen. Für Südtirols Touristiker eine apokalyptische Vorstellung.

Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts Afi, zeichnet für Südtirol drei mögliche Szenarien auf ein Blatt. Da sei einmal das L-Szenario, es sehe aus wie der Buchstabe „L“: Die Wirtschaft breche stark ein und bleibe lange auf diesem sehr niedrigen Niveau hängen. Das sei das schlechteste Szenario, sagt er.

Besser wäre da schon das U-Szenario. Zwar sinke auch hier die Wirtschaftsleistung schnell, um dann einige Zeit unten zu bleiben. Aber nach einigen Monaten erhole sie sich wieder.

Am besten würde Perini das Szenario gefallen, das einem „V“ ähnlich sieht. Einem kurzen, tiefen Schock folgt eine relativ rasche Erholung. „Wichtig ist es nun“, sagt er, „die Lage abzufedern, schauen, dass es nicht zu Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit kommt.“

Dafür brauchen sowohl die Betriebe als auch die arbeitenden Menschen Geld. Sie müssen liquide bleiben. Das koste die öffentliche Hand zwar einen Haufen Geld, aber immer noch weniger als eine Massenarbeitslosigkeit über Jahre. Eine solche würde den Staat, das Land und uns alle viel teurer zu stehen kommen.

Die Hoffnung des Afi-Direktors ist es, dass in den nächsten Wochen Wege gefunden werden, die den Schutz der Gesundheit bei laufender Wirtschaft ermöglichen.

Genau diesen Ansatz verfolgt die Südtiroler Landesregierung. Sie hat zwei Pakete in Höhe von insgesamt zwei Milliarden Euro geschnürt. Das ist beispiellos in der Geschichte des Landes. Und zeigt, welche Katastrophe gerade vor unser aller Augen abläuft.

Landeshauptmann Arno Kompatscher versucht trotzdem, die Fassung zu bewahren. Zunächst, sagt er, gelte es Zahlungsschwierigkeiten und damit Insolvenzen zu vermeiden. „Wo wir als öffentliche Hand Einfluss haben, schieben wir die Zahlungen auf.“ Das Land schaue, dass jeder – also Betriebe, Angestellte, Familien – über die Runden kommt.

In der zweiten Phase, die in dieser Woche anläuft, geht es um direkte Unterstützungen für alle, die unter der Krise leiden. Kompatscher versprüht Zuversicht: „Wir haben das Geld und die Kraft dafür, daher werden wir das überstehen.“

Seine Zuversicht rührt auch aus der bisher guten Wirtschaftslage und der Schuldenfreiheit des Landes. Dies ermögliche es dem Land, Kredite zu günstigen Konditionen aufzunehmen. Das mag stimmen, ist aber auch eine Hypothek.

Die Aufnahme von Krediten ist immer auch eine Wette auf die Zukunft: Wir werden sie in absehbarer Zeit wieder zurückzahlen können. Dafür braucht es das Vertrauen, dass die Corona-krise vorbeigeht und wir wieder wie gewohnt weiterarbeiten können – und zwar möglichst rasch.

Führende Virologen und Immunologen bremsen diese Erwartung. Sie sind zwar der Ansicht, dass es früher oder später Arzneimittel und eine Impfung gegen Convid-19 geben wird. Wann das allerdings genau sein wird, kann niemand voraussagen.

Die Schulden belasten daher womöglich nicht nur diese Generation, sondern vielleicht auch noch die nächste und übernächste. Kann das verantwortet werden?

Und wie sieht es mit Italien aus? Der Staat ist bereits jetzt hochverschuldet, allein die Zinsen, die jedes Jahr bedient werden müssen, machen mehr etwa 70 Milliarden Euro aus. Werden zusätzliche Schulden aufgehäuft, bei gleichzeitigem Sturz in die Rezession, könnte sich das Vertrauen der Kreditgeber in den Stiefelstaat über Nacht in Luft auflösen.

Das hätte nicht allein für Italien Folgen, sondern auch für den Euro, die EU und die gesamte Weltwirtschaft. Geht Italien in die Knie, wird auch der Euro kaum mehr zu halten sein. Und mit ihm die Währungsunion. An ein solches Szenario mögen Fachleute am liebsten gar nicht denken.

Heinz Peter Hager kennt man vor allem als Sprecher der Signa-Gruppe in Bozen. Dabei ist er in erster Linie Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Sein Studio betreut viele multi-nationale Konzerne in Italien.
70 Prozent der Kunden mussten im Zuge der Coronakrise ihre Tätigkeit niederlegen. Für die 110 Mitarbeiter von Hager & Partners, die seit drei Wochen im Homeoffice arbeiten, eine Herausforderung.

Die Unsicherheit der Kunden ist groß. Im Mai, hofft Heinz Peter Hager, werden die ersten Fabriken, das Handwerk, die Handelsbetriebe und der Tourismus wieder ihre Tätigkeit aufnehmen dürfen. Nicht alle sofort, sondern je nach Branche Schritt für Schritt.

Zur Normalität wird dann aber noch kein Unternehmen zurückkehren. „Auch wenn das Coronavirus bis dahin weitgehend eingedämmt ist, die Krankheit Covid-19 wird nach wie vor existieren“, meint Hager. Einer seiner Kunden, ein großer internationaler Filialist im Textilsektor mit Geschäften in China, geht davon aus, dass es in Italien zwölf Monate dauern wird, bis wieder Normalität eingekehrt.

Vor allem das Verhalten der Kunden sei aktuell noch nicht abschätzbar. Die Frage ist, ob sich Urlauber noch trauen, in einem großen Hotel zu übernachten oder locker im Restaurant zu sitzen? Aber auch, ob Kunden und Unternehmen sich aus Angst vor dem nächsten Betriebsstopp im Herbst mit ihren Ausgaben zurückhalten.

Laut der Studie „L’impatto del Covid-19 sui settori e sul territorio“ des Wirtschaftsdienstleisters Cerved hänge alles davon ab, wann die Betriebe wieder ihre Tätigkeit aufnehmen. Dürfen sie im Mai wieder öffnen, geht man in der Region Trentino--Südtirol von Umsatzeinbußen in Höhe von 5,1 Milliarden Euro aus.

Zieht sich die Krise bis Dezember hin, könnten es 11 Milliarden Euro sein. Für Hager realistische Zahlen: „Im Bestfall büßen unsere Unternehmen Umsätze in Höhe eines halben Landeshaushalts ein.“ Dieser beläuft sich auf rund 6 Milliarden Euro.

Eines ist jetzt schon klar: Die angekündigten Schulden des Landes Südtirol werden Auswirkungen auf den Landeshaushalt der kommenden Jahre haben.

Gefordert sind auch die Südtiroler Banken. Sie sind zwar gut aufgestellt, stehen aber vor großen Herausforderungen: Gewährte Kredite werden riskanter, die Niedrigzinsphase wird weiter anhalten und damit werden auch die Erträge der Banken sinken. Das könnte zu einer Flurbereinigung führen.

Heinz Peter Hager: „Man wird zur Einsicht kommen, dass es neben den Raiffeisenbanken nicht zwei weitere lokale Banken braucht, die sich gegenseitig bekämpfen, sondern eine große Regionalbank.“

Viele von Hagers Kunden haben ihren Sitz in der Lombardei. Die Herzkammer der italienischen Industrie leidet am meisten unter der Coronakrise. Die Cerved-Studie geht von Umsatzeinbußen in Höhe von 62 bis 130 Milliarden Euro aus. Die meisten Unternehmen haben zum Glück Reserven. Eine Schließung bis Ende Mai sei verkraftbar. Mitarbeiter können Urlaube aufbrauchen, staatlichen Lohnausgleich in Anspruch nehmen und Banken setzen die Rückzahlungen aus.

„Bleiben die Betriebe aber auch nach Mai geschlossen, dann kommt es zur Katastrophe“, sagt Wirtschaftsprüfer Hager. Dann könnte es auch für manche seiner Kunden eng werden. Unternehmen und ihre qualifizierten Mitarbeiter liegen dann am Boden. Auch die öffentliche Hand werde die Einbußen in dieser Phase nicht mehr finanzieren können.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass Italiens Unternehmen in diesem Jahr bis zu 1.000 Milliarden Euro verlieren werden. Übernahmen durch ausländische Konzerne stehen im Raum, genauso wie Marktbereinigungen und der Verlust von Arbeitsplätzen.

Die Coronakrise wird die Welt verändern. Und zwar weit mehr als es etwa die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 getan hat. Auch in Südtirol werden sich viele Unternehmen neu aufstellen müssen.

An eine Entschleunigung glauben führende Fachleute nicht. Ihrer Ansicht nach werden die Starken noch stärker und die Schwachen schwächer werden. Wer sich dem digitalen Wandel verschließt, für den wird es schwierig. Denn die Digitalisierung wird durch Corona enorm beschleunigt.

Das ergibt Chancen und birgt Risiken. So waren Videokonferenzen für viele Betriebe bis vor zwei Monaten noch etwas völlig Exotisches. Plötzlich sind sie völlig normal. Das entlastet wie durch ein Wunder das Klima, denn viele Fahrten und Flüge werden dadurch hinfällig.

Belastet werden aber die Familien und die Gesellschaft als solche. Denn die Betriebe haben gemerkt, dass man auch von zu Hause aus gut arbeiten kann. Sie sparen sich damit Büroräume und Infrastrukturen. Die finden sich nun in den eigenen vier Wänden wieder. Wer sich nicht bestens organisieren kann, läuft schnell Gefahr, nicht mehr zwischen Arbeit und Privatleben unterscheiden zu können.

Auch der Malser Regionalentwickler Konrad Messner bezweifelt, dass es nun zum großen Durchschnaufen kommt. „Jetzt reden alle plötzlich von den regionalen Wirtschaftskreisläufen“, sagt er. Aber wie viele, die jetzt davon reden, haben das auch zu Ende gedacht? Was bringt Regionalität mit sich? Was schließt sie aus? Wer wird dadurch bevorteilt? Wer hat einen Nachteil?

Messner nennt als Beispiel die Unternehmen und Mitarbeiter in der industriellen Fertigung: „Was sollen die im regionalen Kreislauf machen?“ Es komme nicht von ungefähr, dass so viele Menschen aus der Peripherie in die Zentren abgewandert seien. Eben weil es dort die Industrie gibt, die der ländliche Raum nicht bieten kann.

Regionale Kreislaufwirtschaft ist dann sinnvoll, wenn sie eine gesunde Landwirtschaft hat und Konsumenten da sind, die sich gesund ernähren. Wer in der Stadt lebt und sich mit Fertigmalzeiten und Nahrungsergänzungsmitteln zustopft, für den werden regionale Wirtschaftskreisläufe auch in Zukunft ein Fremdwort bleiben.

„Was wir jetzt brauchen“, sagt der Visionär Messner, „ist ein Wettbewerb der Ideen.“ Und zwar nicht in Konkurrenz zueinander, sondern als Zusammenschau. Jetzt sei es möglich, Dinge anzudenken, die bis dato ausgeschlossen waren. Zum Beispiel ein Grundeinkommen für alle. Oder weniger Mobilität und dafür mehr Köpfchen.

Stefan Franz Schubert, Professor für Volkswirtschaft an der Uni Bozen, glaubt nicht, dass das von vielen kritisierte Wachstum durch die Coronakrise dauerhaft eingebremst wird. „Wachstum“, sagt er, „entsteht durch die Kreativität der Menschen, durch -Neuentwicklungen.“ Wachstum sei nichts Schlechtes, im Gegenteil: Es habe unseren Lebensstandard enorm erhöht.

Und was können wir, Herr Professor, aus der Krise lernen?

– Die Coronakrise zeigt sehr deutlich, zu welchen Problemen das Extrem der internationalen Spezialisierung führen kann. Lieferketten funktionieren durch die Pandemie nicht mehr so reibungslos. Unternehmen werden sich überlegen, ob sie weiterhin von einem einzigen Zulieferer abhängig sein wollen. –

Staaten und Unternehmen müssen sich breiter aufstellen?

– Ja, sicher. Ich bin zwar ein Verfechter des Freihandels, doch es sollte nicht so sein, dass man zum Beispiel von einem einzigen Zulieferer in China abhängig ist. Das erhöht die Gefahr, dass im Krisenfall die eigene Produktion stillsteht. Es braucht Alternativen. Das sieht man bei wichtigen Gütern wie Schutzkleidung oder Masken. –

Und das Gesundheitssystem?

– In das sollte in Zukunft wieder mehr investiert werden, denn in der Vergangenheit ist es „gesund geschrumpft“ worden. –

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  • Gärtnerei Heinz Peter Hager

Benko, Hager und das Virus

(vp) Waltherpark und Office-Park, Virgl-Projekt, Flughafen, Immobilien­projekte in Bozen-Gries. Kein anderes Unternehmen plant derzeit in so großem Stil in Bozen wie die Signa-Holding des österreichischen Investors René Benko. Nun bremst die Coronakrise seinen Durchmarsch.

Die Baustelle des Waltherparks steht seit vergangener Woche still. Wie lange noch, kann auch Heinz Peter Hager, der Sprecher der Signa-Gruppe in Bozen, nicht abschätzen. Auch weil man noch nicht wisse, wie die am Bau beteiligten Firmen die Krise überstehen.

Hager hält es für möglich, dass das neue Stadtviertel samt Einkaufszentrum, Hotel, Wohnungen und Büros nicht wie geplant 2022, sondern erst Anfang 2023 eröffnen wird. „Natürlich ist das nicht erfreulich“, sagt er, „aber kein Dilemma, das Projekt ist gesichert, wir stehen gut da, wir sind ausfinanziert und verfügen über genügend Eigenkapital.“

Festhalten will die Signa-Gruppe nach wie vor am Virgl-Projekt, ein Museums­quartier mit Weltarchitektur, das den Ötzi beherbergen soll. Land und Gemeinde wollten bis Herbst 2020 über den Standort des neuen Archäologiemuseums entscheiden. „Das Virgl-Projekt ist eine Notwendigkeit für die Stadt­entwicklung und die aktuelle Krise zeigt uns, dass so ein Projekt notwendiger denn je ist“, meint Hager.

Die Ausschreibung für das Bahnhof­areal, an der sich die Signa-Holding ­beteiligen will, verzögert sich vermutlich. „Eigentlich wollte man bereits im kommenden Jahr mit den Arbeiten beginnen. Nun wurden die Gemeinderatswahlen verschoben und vor 2021 wird es wohl weder eine Ausschreibung noch einen Zuschlag geben“, meint Hager.

Der Neustart des Flughafens Bozen wird im Mai wohl nicht stattfinden, ­jedenfalls nicht so, wie ihn die neuen Betreiber Josef Gostner, Hans Peter Haselsteiner und eben René Benko planten. Die ­Linienflüge zwischen Bozen und Rom, mit denen man im Mai starten wollte, müssen wohl verschoben werden: „Wann die ersten Maschinen abheben, hängt von der Entwicklung des Coronavirus und des Tourismus ab“.

Einzig der Immobiliensektor scheint der Corona-Krise zu trotzen. „Die Leute investieren jetzt lieber in eine Immobilie als in Finanzwerte“, sagt Hager. Selbst in den vergangenen zwei Wochen, als keine Besichtigungen möglich waren, habe Signa in Gries erfolgreich Wohnungen verkauft.

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