In den letzten Ausgaben der ff berichteten wir über die Auswirkungen von Corona auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik
Wirtschaft
Geht es von vorne los?
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Gerade hat sich die Bauwirtschaft von den jahrelangen Folgen der Wirtschaftskrise erholt. Mit Corona schlittert sie nun in das nächste Tief.
Bis Mitte März wurde in Südtirol auf Teufel komm raus gebaut. Private, Unternehmen, Hoteliers haben die vergangenen fünf Jahre kräftig investiert. Es war ein Boom. Entsprechend verheißungsvoll die Zahlen aus dem Baugewerbe. 94 Prozent der Unternehmen blickten, laut dem Wirtschaftsbarometer der Handelskammer Bozen, optimistisch auf das Jahr 2020. Sie rechneten mit einem ähnlich guten Betriebsergebnis wie im vergangenen Jahr.
Und auch die Beschäftigung sollte weiter steigen. Vor allem in den starken Monaten März und April. Doch genau in dieser Zeitspanne hat das Coronavirus zugeschlagen. Es hat auch die Baubranche ohne jede Vorwarnung voll erwischt. Der Hochbau steht still. Der Tiefbau dagegen darf seit vergangener Woche zumindest im Brücken-, Tunnel oder Straßenbau wieder arbeiten.
Freitagvormittag am Firmengelände der Rottensteiner GmbH in der Handwerkerzone von Klobenstein am Ritten. Normalerweise herrscht hier Hochbetrieb. Jetzt ist es gespenstisch still. Betonfahrzeuge, LKWs und Bagger stehen fein säuberlich in Reih und Glied. Die 70 Mitarbeiter des Hoch- und Tiefbau-unternehmens sind beurlaubt.
„Wie soll es uns schon gehen? Wir sind im Zwangsurlaub“, seufzt Inhaber Thomas Rottensteiner. Den Zwangsurlaub hat er sich zum Teil selbst auferlegt. Denn auch sein Betrieb dürfte seit Ende März zumindest in bestimmten Tiefbaubereichen wieder tätig sein. „Was soll das schon bringen! Nicht mehr als 10 bis 15 unserer Mitarbeiter dürften unter Einhaltung strengster Sicherheitsvorkehrungen auf kleinere Baustellen. Dort müssten sie sich selbst versorgen, denn Restaurants sind ja geschlossen“, sagt Rottensteiner.
Zentral für ihn ist aber die Sicherheit: „Unsere Arbeit kann gefährlich sein. Ich kann nicht verantworten, dass in Zeiten wie diesen ein Mitarbeiter in die Notaufnahme eingeliefert wird“. Seine Mitarbeiter sind Buggler. Einige wären längst bereit für die Arbeit, das Nichtstun zu Hause ist kaum mehr auszuhalten.
Thomas Rottensteiner hat ein anderes Ziel. Er hofft, dass Südtirols Bauunternehmen nach Ostern wieder mehr arbeiten dürfen. Auch um die Wirtschaft nicht ganz in den Ruin zu treiben. Aber jede Vorausschau sei im Moment pure Spekulation.
Ähnlicher Meinung ist Michael Auer, der Präsident des Kollegiums der Bauunternehmer. Jetzt gehe es erst Mal darum die Sicherheitsbestimmungen gut und vernünftig zu regeln und zu organisieren.
„Es geht um Themen wie Schutzmasken: Woher bekommen wir ausreichend Masken und welche brauchen wir? Es geht aber auch um die Verpflegung auf der Baustelle. Einige Unternehmen lassen sich mittlerweile von Lieferservices Essen bringen“, sagt Auer. Er ist mit seinem Meraner Tiefbauunternehmen Erdbau seit vergangener Woche zumindest teilweise wieder aktiv.
Der Südtiroler Bausektor blickt auf sechs erfolgreiche Jahre zurück. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo der Handelskammer stieg das Geschäftsklima in diesen Jahren kontinuierlich. 2019 waren die Werte sogar noch besser als vor der Wirtschaftskrise. Die Jahre 2009 bis 2015 markieren eine der schlimmsten Krisen für das Baugewerbe. Allein in den Jahren zwischen 2010 und 2013 sank die genehmigte Baukubatur um ein Drittel.
Und das hatte Folgen: Die -Baubranche musste ihre Belegschaft stark reduzieren. Am Ende der Krise verschwanden selbst Größen wie ZH und Hobag von der Bildfläche. Laut einer Statistik der Bauarbeiterkasse warfen zwischen 2007 und 2017 mehr als 300 Südtiroler Baufirmen das Handtuch. Wird sich nun, im Zuge der Coronakrise, dieses Szenario wiederholen?
„Hoffen wir, dass es nicht noch schlimmer kommt“, meint Thomas Rottensteiner. Noch sind die konkreten Folgen schwer abschätzbar. Michael Auer ist überzeugt: Am Ende hängt alles davon ab, wie lange der Stillstand am Bau anhält und wie stark die EU, Italien, das Land und die Banken die Unternehmen mit Geld versorgen. Eines traut er sich aber bereits zu sagen: Auch diese Krise wird ihre Opfer fordern, nicht alle Bauunternehmen werden sie überleben. Es wird Hochbau- und Tiefbaufirmen genauso treffen wie Zulieferer, Hydrauliker oder Elektriker.
„Wenn Hotels keine oder nur noch wenige Gäste haben, den Unternehmen ihre Umsätze fehlen und Arbeitnehmer ihre Jobs verlieren, dann werden wohl auch Investitionen gestrichen. Und das wird sich auf die Umsätze und am Ende natürlich auf die ohnehin schwachen Erträge unserer Unternehmen auswirken“, sagt Michael Auer.
Vor allem der Tourismus wird sich wohl mit Investitionen zurückhalten. Die Branche wuchs in den vergangenen Jahren stetig und kräftig. 2018 wurde erstmals die Rekordmarke von 33 Millionen an Nächtigungen geknackt. Entsprechend unerschrocken investierten Hotels.
Eines der jüngsten Projekte ist das Forestis auf 1.800 Metern Meereshöhe in Palmschoß oberhalb von Brixen. Die Familie Hinteregger investierte 30 Millionen Euro in den Bau von drei Hoteltürmen, die Anfang Mai eröffnen sollten. Der aktuelle Stillstand im Tourismus wird nicht nur dieses Projekt hart treffen. Denn noch ist nicht absehbar, wann die ersten Gäste wieder in Südtirol ihren Urlaub verbringen.
Müssen Handwerker und Baufirmen jetzt auch um das Geld für erbrachten Leistungen bangen? „Ich denke nicht, dass es soweit kommen wird. Die Banken werden die Hotels und auch andere Auftraggeber sicher nicht hängen lassen“, ist Michael Auer überzeugt.
In den vergangenen Jahren ebenfalls deutlich angestiegen, ist der private Wohnbau. Experten aus der Bau- und Immobilienbranche gehen davon aus, dass auch dieses Marktsegment in den kommenden Monaten einen Dämpfer erleiden wird. Am Ende werde sich, sagen sie, der Erstwohnungsmarkt aber schneller von der Coronakrise erholen als der Tourismus.
Um die Existenz seines eigenen Unternehmens sorgt sich Thomas Rottensteiner noch nicht. Für die kommenden drei Monate sind seine Auftragsbücher gut gefüllt. Wie lange, wird am Ende auch von der Politik abhängen. Denn das Rittner Bauunternehmen arbeitet zu 70 Prozent für öffentliche Auftraggeber. Die Zukunft seines Unternehmens hängt also auch davon ab, wie viele öffentliche Bauten in Zukunft noch realisiert werden.
Aber werden Großprojekte, wie etwa der Küchelbergtunnel in Meran oder das Bibliothekenzentrum in Bozen nach der Coronakrise überhaupt noch Thema sein? „Wenn die privaten Aufträge ausbleiben, wird die öffentliche Hand – so zumindest unsere Hoffnung – gewisse Projekte vorverlegen“, ist Baukollegiumschef Auer optimistisch.
Auswirkungen wird die Krise wohl auch auf die Preise haben. Es gehe gar nicht anders, sagt Michael Auer. Bei sinkender Nachfrage werden viele Firmen unter Zugzwang kommen. Und wenn die Aufträge weniger werden, sind Handwerker und Bauunternehmen eher bereit, zu einem niedrigeren Preis anzubieten.
Dabei war die Ertragslage – trotz der guten Auftragslage – ohnehin schwach. Die mittlere Rendite der Südtiroler Bauunternehmen betrug bislang nur rund einen Prozentpunkt. Also deutlich zu niedrig, um langfristig zu überleben, bilanziert Auer. Jetzt werde die Rendite wohl eher gegen Null sinken.
Zwei bis drei Jahre, schätzt Bauunternehmer Rottensteiner, werde es dauern, bis Südtirols Bauwirtschaft wieder dort ist, wo sie aktuell steht. „Vielleicht bekommen wir einen solchen Boom auch gar nicht mehr hin und vielleicht wollen wir ihn auch gar nicht mehr“, meint er provokant. Er hofft, dass in Südtirol künftig wieder etwas vernünftiger gebaut wird.
Zuletzt wurden selbst umfangreiche Hotelprojekte innerhalb nur weniger Monate fertiggestellt. Bestimmte Aufträge habe er gar nicht mehr angenommen. Er wollte bei diesem Stress am Bau nicht mehr mitmachen, auch weil er deshalb einige Mitarbeiter verloren habe, sagt Rottensteiner.
In der Krise sieht er trotz allem auch eine Chance: „Wir werden in Zukunft mit etwas weniger zurecht kommen müssen. Wir werden das, was wir haben, aber wieder mehr wertschätzen.“
weitere Bilder
Weitere Artikel
-
Die Party ist aus
Der Wintersportort Gröden war einer der Brennpunkte des Coronavirus. Wie in Ischgl hat man auch hier gezögert, den Laden dichtzumachen. Warum das Krisenmanagement trotzdem besser lief.
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.