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Wirtschaft
Wenn das Pasta-Wasser kalt wird
Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020
Ein Rückgang des italienischen Bruttoinlandprodukts im zweistelligen Prozentbereich scheint mit jeder Woche im Lockdown wahrscheinlicher. Was nun zu tun wäre.
Ein Gastbeitrag von Stefan Schubert, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bozen.
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ie Corona-Pandemie hält die gesamte Welt in Atem. Die wirtschaftlichen Folgen sind verheerend und werden jene der globalen Finanzkrise 2008/2009 bei Weitem übertreffen. Neuesten Prognosen des Internationalen Währungsfonds IWF zufolge ist in Italien mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Jahres 2020 um 9 Prozent zu rechnen. Es kann aber noch schlimmer kommen, abhängig davon, wie lange der sogenannte Lockdown anhält und wie rasch die Wirtschaft anschließend wieder hochgefahren werden kann.
Je länger Betriebe geschlossen sind, umso länger dauert es in der Regel, bis deren Produktion wieder auf Normalniveau zurückgekehrt ist: Mit zunehmender Dauer des Produktionsstillstandes reißen Lieferketten, gehen Zulieferer oder Abnehmer Konkurs, fehlen Arbeitskräfte und so weiter. Zum Verständnis eine Analogie: Blicken wir auf ein Restaurant, das Pastagerichte auf seiner Speisekarte hat. In der Küche steht ein großer Kochtopf, in dem das Pastawasser ständig kocht, die Pasta muss lediglich ins kochende Wasser geworfen werden, wenn eine Bestellung die Küche erreicht. In wenigen Minuten ist die Pasta al dente und kann dem Gast serviert werden. Wird hingegen der Ofen, auf dem der Kochtopf steht, ausgeschaltet, kühlt das Pastawasser ab – je länger der Ofen aus ist, umso mehr. Vielleicht fehlt dann sogar der Koch. Je länger der Ofen ausgeschaltet war, umso länger dauert es, das Wasser wieder zum Kochen zu bringen und die Pasta zuzubereiten.
Eine grobe Überschlagsrechnung verdeutlicht die Dimension des BIP-Einbruchs. Im Schnitt werden pro Monat 8,33 Prozent des jährlichen BIP erzeugt. Werden in Lockdown-Zeiten nur noch 50 Prozent produziert, beträgt der monatliche Verlust schon rund 4,16 Prozent. Zwei Monate Lockdown führen also schon zu einem BIP-Rückgang von 8,33 Prozent. Hinzu kommen die mit der Dauer des Stillstandes überproportional zunehmenden Verluste während des Wiederanlaufens der Wirtschaft – siehe Pasta-Beispiel. Ein Rückgang des italienischen BIP im zweistelligen Prozentbereich scheint also keinesfalls ausgeschlossen, sondern steht zu befürchten.
Um die Verluste so gering wie möglich zu halten, muss der Staat, also die Regierung, stützend eingreifen. Die Regierung hat schon ein milliardenschweres Hilfspaket geschnürt, um das Schlimmste zu verhindern. Wichtig ist, dass schnell und unbürokratisch geholfen wird. Jeder Tag zählt; denn mit jedem Tag, der ungenutzt verstreicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen in Konkurs gehen. Um das zu verhindern, greife ich einen Vorschlag des deutschen Ökonomen Ulrich van Suntum auf: die sogenannten Corona-Kontokorrentkredite (CKK).
Dabei gewähren die Geschäftsbanken Unternehmen, die im vergangenen Jahr profitabel waren, pro Monat zinslose langlaufende Überziehungskredite in Höhe des durchschnittlichen monatlichen Umsatzes. Somit können die Unternehmen Mieten, Gehälter etc. weiterhin bezahlen. Der Staat garantiert die Rückzahlung mit 90 Prozent, gegebenenfalls sogar mit 100 Prozent, und bezahlt den Unternehmen hierfür einen Zins in Höhe von zum Beispiel 1 Prozent pro Jahr.
Für die Banken wäre dies ein lohnendes und risikoloses Geschäft; denn im Bankensystem sind Unmengen von Geld vorhanden, für dessen Verleihung die Banken nun einen Zins erhielten, statt einen Strafzins für die Einlage bei der Europäischen Zentralbank bezahlen zu müssen. Und für den Staat fielen im günstigsten Fall ohne Unternehmenskonkurse lediglich Ausgaben für die Zinsen an. Diese würde das staatliche Budget weit weniger belasten als direkte Hilfen.
Solche CKKs wären sicher auch für den stark betroffenen Südtiroler Tourismussektor mit seinen vielen Kleinbetrieben eine gute Hilfe. Zusätzlich sollte die Landesregierung diesen Betrieben unverzüglich nicht zurückzuzahlende Hilfen gewähren, um das Schlimmste zu verhindern. Denkbar wären fürs Erste nach der Betriebsgröße gestaffelte Einmalzahlungen. Da der Tourismus aber noch lange unter der Corona-Pandemie zu leiden haben wird, werden weitere Transferzahlungen unabdingbar sein, um den Tourismusbetrieben das Überleben zu ermöglichen.
Notwendig sind zudem gewaltige Investitionen des Staates in Infrastruktur, Bildung sowie in das marode Gesundheitssystem. Solche Investitionen zahlen sich langfristig aus, da sie die Produktivität und somit das Wachstumspotenzial Italiens erhöhen.
Freilich muss all dies finanziert werden. Hierfür schlage ich sogenannte Corona-Bonds vor. Diese sind nicht mit den sogenannten Euro-Bonds zu verwechseln. Corona-Bonds wären eine Gemeinschaftsanleihe der Staaten des Eurosystems oder aller EU-Mitgliedstaaten zur Finanzierung der mit der Bekämpfung der Corona-Krise erforderlichen Ausgaben, also zweckgebunden. Obwohl ich ein Gegner von Euro-Bonds bin, befürworte ich Corona-Bonds als einmaliges Instrument, da die Mitgliedstaaten an der Corona-Krise – im Gegensatz zur Staatsschuldenkrise – keine Schuld trifft und alle Mitgliedstaaten betroffen sind.
Für Länder wie Italien, Spanien und Griechenland sind Corona-Bonds von Vorteil, da diese zu einem niedrigeren Zins ausgegeben werden können als nationale Staatsanleihen. Länder wie Deutschland, die mithaften, profitieren ebenfalls, da ihre Handelspartner mit den durch die Corona-Bonds finanzierten Maßnahmen wirtschaftlich stabilisiert werden können und die Gefahr des Wegbrechens von Export- und Importmärkten und des Reißens von Produktionsketten geringer wäre. Davon abgesehen wären Corona-Bonds ein Zeichen europäischer Solidarität in dieser außergewöhnlichen Zeit.
Es stimmt übrigens nicht, dass Corona-Bonds etwas Neues wären. Bereits seit den 1970er-Jahren wurden wiederholt Gemeinschaftsanleihen der europäischen Staaten emittiert, erstmals 1976 zugunsten Italiens und Irlands, um die Folgen der Ölkrise bewältigen zu helfen. Mit entsprechendem politischen Willen könnten Corona-Bonds schnell aufgelegt werden, da ein institutioneller Rahmen hierfür bereits vorhanden ist. Corona-Bonds wären gegenüber dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM das sachlogisch richtige Instrument. Aufgabe des ESM ist es nämlich, überschuldete Mitgliedstaaten der Eurozone mit Krediten und Bürgschaften zu unterstützen; im Gegenzug müssen sich die Empfängerländer zu Reformen verpflichten. Corona-Bonds sind auch dem Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank EZB vorzuziehen, da ein solcher das geldpolitische Mandat der EZB sprengt und die Staaten des Euroraumes ebenfalls indirekt haften, da sie für Verluste der EZB einstehen müssen.
Schlussendlich sollten die nationalen Regierungen beziehungsweise die Europäische Union durch geeignete Maßnahmen verhindern, dass es in der Folge der Corona-Krise zu einem Ausverkauf der heimischen Wirtschaft an außereuropäische Investoren kommt. Eine (teilweise) Rückverlagerung der Produktion sogenannter systemrelevanter Produkte nach Europa sollte ebenfalls forciert werden. Die Corona-Pandemie hat nämlich drastisch vor Augen geführt, wohin eine allzu starke Spezialisierung und Konzentration der Produktion führen kann.
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