Wirtschaft

Der Himmel über Belluno

Aus ff 29 vom Donnerstag, den 16. Juli 2020

TV-Serie „Un passo dal cielo“
Dreharbeiten zur TV-Serie „Un passo dal cielo“ in Niederdorf: Die Serie hat dazu beigetragen, dass das Filmland an Bekanntheit gewonnen hat – und auch dass das Pragser Tal überrannt wird. © Federico Vagliati
 

Gefördert, geliebt und gefürchtet: Der Abschied der erfolgreichen TV-Serie „Un passo dal cielo“ vom Pragser Wildsee kam nicht überraschend. Was bleibt?

Die Gäste auf der großen Holzterrasse der See-Gastwirtschaft „Chalet al lago“ staunten nicht schlecht. Da waren am vergangenen Sonntagnachmittag doch etliche eigens zum Lago di Mosigo nach San Vito di Cadore gekommen, um ein neues Juwel zu entdecken. Ein Juwel, das der neue Schauplatz der beliebten Rai-TV-Serie „Un passo dal cielo“ werden soll – und den bisherigen Magnet, den Pragser Wildsee, als Filmkulisse ablöst.

Und dann das: Zwischen Torte und Capuccino läuft der See binnen kürzester Zeit aus; statt der schönen Wasserspiegelung der prächtigen angrenzenden Bergmassive von Antelao und Monte Pelmo bekommen die Gäste Algen und Schlamm am Seegrund serviert.

Was ist geschehen? Vor allem: Soll, oder besser: kann das die filmische Alternative zum Pragser Wildsee sein, den die Filmproduktionsfirma Lux Vide vor rund zwei Wochen nahezu fluchtartig verlassen hat?

Doch der Reihe nach. Es ist zehn Jahre her, dass am Pragser Wildsee die erste Filmklappe zur TV-Serienproduktion „Un passo dal cielo“ gefallen ist. Die Produktion der Serie, die von der römischen Filmproduktionsfirma Lux Vide in Zusammenarbeit mit der Rai realisiert wird, wird schnell zur Erfolgsserie. Nach der ersten Staffel folgen im Laufe der Jahre weitere vier Staffeln, insgesamt werden 72 Episoden ausgestrahlt.

Es ist anfänglich Schauspiellegende Terence Hill, der als Forstinspektor -Pietro immer wieder in Kriminalfälle verwickelt wird (und schließlich von Daniele Lotti als Francesco abgelöst wird), und es sind die Dolomiten rund um den Pragser Wildsee mit ihrer spektakulären Kulisse, die die Voraussetzungen für den Publikumserfolg liefern. Die Filmstaffeln haben in Italien mit durchschnittlich 6 Millionen Zusehern gute Einschaltquoten. Seit Ende Juli 2017 wird „Un passo dal cielo“ unter dem Namen „Die Bergpolizei – Ganz nah am Himmel“ gar in einer deutschen Synchronfassung im Fernsehen des Bayerischen Rundfunks ausgestrahlt.

Doch der Erfolg hat seine Tücken: Der Pragser Wildsee, schon zu Zeiten von Tourismuspionierin Emma Hellenstainer im 19. Jahrhundert zur touristischen Sehenswürdigkeit erhoben, wird zum überlaufenen internationalen Tourismus-Hotspot.

Anfänglich ist es die Tourismuswerbung selbst, die den Pragser Wildsee prominent promotet, 2009 werden die Dolomiten in die Liste des Welterbes der Menschheit aufgenommen, es folgen die Filmserie und einflussreiche Influencer der Instagram-Generation. Der Ansturm ist gewaltig: 2018 führt er zum Verkehrskollaps im Pragser Tal – in den Sommermonaten zählt man 1,2 Millionen Besucher, durchschnittlich rund 10.000 am Tag.

Der überfüllte See wird zum lokalen Symbolbild des Overtourism: Die große Südtiroler Sehnsuchts- und Illusionsmaschine hält nicht mehr, was sie verspricht.

Auch die darauf folgende Einschränkung des motorisierten Privatverkehrs ist kein Befreiungsschlag und macht selbst Touristikern klar: Der Touristenstrom im Pragser Tal ist kontraproduktiv, so kann es im Naturpark Fanes-Sennes-Prags nicht weitergehen. Und eine erfolgreiche TV-Serie, die mit ihren Bildern Tal und Umgebung bewirbt und dauerhaft zusätzliche Gäste anlockt, ist wenig hilfreich.

Südtirols Filmförderung fährt ihre anfangs großzügige finanzielle Unterstützung schon seit Jahren zurück (siehe Grafik), die Tourismuspolitik weiß, dass sie handeln muss, wenn der von ihr bemühte Begriff der Besucherstromlenkung keine Worthülse bleiben soll. Nicht zuletzt soll beim Landesvermarkter IDM, bei dem Südtirols Filmförderung angesiedelt ist (siehe Infobox), seit einem Jahr alles nur mehr „nachhaltig“ sein. Es ist darum nicht überraschend, dass just als dieser Tage der Drehbeginn der neuen und 6. Staffel von „Un passo dal cielo“ ansteht, die Ampel in der Landesabteilung 28, zuständig für Natur, Landschaft und Raumentwicklung, auf Rot gestellt wird. Ein negatives Gutachten schiebt weiteren Dreharbeiten der TV-Serie vor Ort einen Riegel vor.

„Die Serie hat dazu beigetragen, dass das Filmland gewachsen ist und an Bekanntheit gewonnen hat, und sie hat vielen Filmfachkräften aus Südtirol die Möglichkeit einer Beschäftigung gegeben“, sagt Vera Leonardelli, Direktorin der Abteilung Business Development von IDM Südtirol. Und sie ergänzt: „Gleichzeitig ist es uns natürlich ein großes Anliegen, dass sich die Filmwirtschaft in Südtirol nachhaltig entwickelt, IDM arbeitet derzeit an Richtlinien für grünes Drehen.“

Weil das Land über andere attraktive Drehorte verfügt, bietet man der Filmproduktionsfirma als Alternative das Schnalstal an. Doch die Rai als Auftraggeberin der Serie lehnt aus produktionstechnischen und kreativen Gründen ab: Man will das Setting der Serie beibehalten, ein Wechsel des Drehortes kommt für sie nicht in Frage. In der Folge zieht die Filmproduktionsfirma Lux Vide den Antrag auf Förderung zurück – und übersiedelt ins Veneto, genauer zum Lago di Mosigo im bellunesischen San Vito di Cadore, einen Steinwurf von Cortina entfernt.

„Die Produktionsfirma geht in bestem Einvernehmen, und wir freuen uns schon, wenn sie mit einem neuen Projekt wieder auf uns zukommt“, sagt Vera Leonardelli. Konstruktiver IDM-Humor.

Wie groß der Anteil der Filmserie für das Besucheraufkommen am Pragser Wildsee tatsächlich ist, weiß man bei IDM nicht, auch Zahlen zur Umwegrentabilität gibt es nicht. Lediglich der sogenannte Südtirol-Effekt, also wie viel von der Filmförderung durch Einbindung lokaler (Film-)Dienstleister ins Territorium zurückgeflossen ist, wurde errechnet. Wie groß die allgemeine Wertschöpfung ist, weiß man auch nach 10 Jahren kontinuierlicher Serienproduktion nicht.

In der Pragser Gemeinde verweist Bürgermeister Friedrich Mittermair bezüglich wirtschaftlicher Kennzahlen auf den Tourismusverein. Auch diesem ist nicht klar, welche Umwegrentabilität die TV-Serie hat. So meint der Präsident des Tourismusvereins Pragser Tal, Christian Ploner, bezüglich Besucherzustrom: „Vielleicht hat der Ansturm auch viel mehr mit der Zuerkennung des Unesco-Titels an die Dolomiten als Weltnaturerbe zu tun.“

Professor Thomas Bausch, -Direktor des Brunecker Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität der Universität Bozen, geht von einem „starken Pull-Faktor“ für die Besucherzahlen durch die Serie aus. Er verweist darauf, dass eine Reiseentscheidung nicht nur von einem Faktor abhänge, mag auch das Bewusstsein für das Pragser Tal unter den Zusehern als potenzielle Gäste gestiegen sein.

Zahlen wirtschaftlicher Effekte seien „auf Treu und Glauben“ zu genießen, mit einer Milchmädchenrechnung à la Sendezeit mal Quote lasse sich jedenfalls nichts untermauern. Eine wissenschaftliche Arbeit von Valentina Pizzuto, die ebenfalls am Kompetenzzentrum tätig ist, hat untersucht, wie sich der zunehmende Tourismus am Pragser Wildsee auf die Zufriedenheit der Touristen auswirkt. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die negativen Rezensionen im Netz im Laufe der Jahre zugenommen haben und mit einem Rückgang der touristischen Zufriedenheit einhergehen; bestätigt wird dies durch die Auswertung von Online-Fragebögen, in denen die Besucher die negativen Auswirkungen des Phänomens als „fühlbar“ betrachten.

Und damit zurück zum ausgelaufenen Mosigo-See am vergangenen Sonntag. Zunächst hatte man in San Vito di Cadore befürchtet, dass eine mutwillige Manipulation des Abschiebereglers am künstlichen Damm des kleinen Sees zum Auslauf geführt hatte. Besorgte Belluneser, so kolportierte am Montag der -Corriere delle Alpi, hätten womöglich vorab die Dreharbeiten boykottiert, um dem See das Pragser Schicksal zu ersparen.

Nun, der Regler des 1929 geschaffenen Sees ist lediglich in die Jahre gekommen, der Defekt wurde behoben, der See ist wieder gefüllt, den Dreharbeiten steht nichts mehr im Wege. Auch deshalb nicht, weil seit dem 30. Juni klar ist, dass die Produktionsfirma aus dem aktuellen 5-Millionen-Euro-Fördertopf der „Veneto Film Found Commisssion“ schöpfen kann. Davon sind 4 Millionen Euro für die Kategorien TV-Serie und Fiction reserviert, bis 40 Prozent der anerkannten Kosten werden gefördert. Glaubt man Indiskretionen, dann müssen sich nur drei TV-Serien den Kuchen teilen. Der Himmel über Belluno ist für „Un passo dal cielo“ also noch näher.

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  • Südtirols Förderungen

Die Südtiroler Filmförderung

Die lokale Film Fund Commission gibt es seit 10 Jahren. Ihr erklärtes Ziel: Südtirol als Filmstandort zu etablieren. Die Filmförderung ist in erster Linie als Wirtschaftsförderung konzipiert, die dem Aufbau und der Stärkung der Kreativwirtschaft und der Filmbranche im Lande dient. Ein Filmprojekt erhält nur dann eine Förderung, wenn ein höherer Betrag als die Förderung (nach den derzeit gültigen Förderrichtlinien mindestens 150 Prozent der Fördersumme) wieder im Lande ausgegeben wird – ein wirtschaftlicher Mehrwert, weil lokale Dienstleistungen insbesondere auch filmspezifischer Art in Anspruch genommen werden müssen. Südtirol verfügt dank Filmförderung mittlerweile über eine florierende Filmlandschaft mit vielen professionellen Filmschaffenden und spezialisierten Filmdienstleistern (Beleuchter, Location Scouts, Castingagenturen, Equipment-Verleihern usw). Die Film Fund & Commission ist bei der IDM angesiedelt und versteht sich als Schnittstelle zwischen den Filmmärkten Deutschland, Österreich, Italien und Schweiz. Daher liegt ein besonderer Fokus auf der Förderung von Koproduktionen zwischen diesen Ländern.

10 Jahre Film Fund & ­Commission

3.800 Drehtage insgesamt (ca.)

265 geförderte Filmprojekte

37 Mio. € Summe aller bisherigen Förderungen

460 Filmschaffende/Unternehmen zählt Südtirols Filmbranche (ca.)

70 Mio. € beträgt der Südtirol-Effekt

188 % durchschnittlicher Südtirol-Effekt

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