Sommeliervereinigung: (vp) 20 Jahre stand die Bozner Weinexpertin Christine Mayr an der Spitze der Südtiroler Sommeliervereinigung. ...
Wirtschaft
Die letzten Milchmacher
Aus ff 25 vom Donnerstag, den 23. Juni 2022
Die Lage der Südtiroler Milchbauern ist ernst. Hohe Kosten, zu niedrige Erträge, viel Tradition, wenig Erneuerung. Stehen die kleinen Bauern vor dem Ende?
Um Viertel nach sieben in der Früh stürzt der Bauer aus dem Haus, zieht sich die Gummi-stiefel an und eilt in den Stall. Dann hört man eine Weile nur mehr das Kratzen des Besens, mit dem er den Stall auskehrt, das Platschen der Fladen, wenn eine Kuh sich erleichtert, das Brummen und Stampfen der Melkmaschine, die sich an das Euter der Kuh saugt und automatisch wieder davon ablässt.
Eine Kuh will zweimal am Tag gemolken werden. Die Maschine, 3.600 Euro kostet eine davon, zeigt an, wie viel die Kühe heute Früh Milch gegeben haben: zehn Liter zum Beispiel die eine, vier Liter die andere. Das ist wenig. Hochleistungskühe schenken den Bauern um die 30, 40 Liter pro Tag.
Hannes Tratter folgte schon mit 19 Jahren dem Ruf der Kühe, er war das einzige Kind auf dem Hof in der Tal-ebene von Wiesen/Pfitsch, den mit den Jahren Wohnhäuser und Dorfvillen eingekreist haben. Nach dem Melken treibt er die Kühe über die Straße auf die Weide: Wenn eine davon auf den Asphalt scheißt, gibt es Protest.
„Bauer sein“, sagt Tratter, „ist ein peariger Job.“ Freilich auch ein 24-Stunden-Job, 365 Tage im Jahr. Pause hat der Bauer nur, wenn die Kühe auf der Alm stehen. Dieses Jahr sollte sich eine Woche Urlaub am Meer mit seiner Frau und den vier Kindern ausgehen.
Die Lage der Milchbauern ist dramatisch, klagt der Südtiroler Bauernbund, die Kosten sind um 15 bis 20 Prozent gestiegen. „Viele kleine und zunehmend auch mittelgroße Milchviehbetriebe“, sagt Siegfried Rinner, Direktor des Südtiroler Bauernbundes, „werden sich jetzt die Frage stellen, wie es mit dem Betrieb weitergeht.“
Ist die Lage wirklich so dramatisch und unverschuldet? Wie leben die Milchbauern? Wie ist die Lage einer Branche, die tief in der Tradition verhaftet ist, immer kleiner wird, aber in der Öffentlichkeit vor Selbstbewusstsein fast platzt? „Geht es so weiter“, sagt zum Beispiel Arnold Schuler, Landesrat für Landwirtschaft, „ist die Milchwirtschaft in Gefahr.“
Hannes Tratter, ein gemütlicher Landwirt, hatte mit 19 schon begonnen, an der Universität Innsbruck Musik zu studieren. Dann übernahm er doch den Hof – er war der einzige Nachkomme. Zwischen 20 und 23 Kühe hat er im Stall stehen, er ist zufrieden, wenn sie im Schnitt 20 Liter Milch am Tag abgeben. Investitionen tätigt er mit Vorsicht, wenn die Kosten steigen, hält er lieber ein paar Kühe weniger. Vor neun Jahren hat er den Betrieb auf bio umgestellt, er wollte das Mehr und Immermehr, das die Landwirtschaft antreibt und anheizt, nicht mehr mitmachen. Er bekommt vom Milchhof Sterzing mehr für den Liter Milch als konventionelle Milchbauern: 80 Cent.
Der Durchschnittspreis für ein Kilo Milch betrug laut Südtiroler Sennereiverband im Jahr 2021 50,17 Cent, in Österreich waren es 35 Cent. Die Milchhöfe rechnen in Kilo, 1 Kilo=1,03 Liter. Doch die Kosten liegen im Moment, so der Bauernbund, bei 85 Cent pro Kilo, rechnet man den Lohn für den Bauern ein – die Bäuerin arbeitet oft gratis.
Die Preise für Strom haben sich in den vergangenen Monaten mehr als verdoppelt – Milch kühlen und verarbeiten verbraucht viel Energie. Gas und Nafta sind ebenfalls stark gestiegen. Und ein Kilo Kraftfutter kostet jetzt 54 statt 35 Cent. Der Trend zeigt weiter nach oben – wegen der Trockenheit und des Kriegs in der Ukraine ist Getreide knapp und teuer. Bis zu zehn Kilo Kraftfutter am Tag braucht eine Kuh, wenn sie 30, 40 Liter Milch am Tag geben soll.
15 Kühe hat ein Südtiroler Milchbauer im Schnitt im Stall stehen. Wenn also eine Kuh zehn Kilo Kraftfutter am Tag frisst, sind das 150 Kilo. Macht 75 Euro am Tag, 27.000 Euro im Jahr. 19.000 wären es bei den alten Preisen. „Die Kosten-steigerung bei den milchver-arbeitenden Betrieben“, erklärt Annemarie Kaser, Geschäftsführerin des Sennereiverbandes, „liegt bei 12/13 Cent pro Kilogramm Milch, Tendenz steigend.“
4.354 Milchbauern gibt es in Süd----t-i-rol, davon nur ein Drittel im Vollerwerb. 500 von ihnen halten weniger als fünf Kühe, sind also wirtschaftlich akut gefährdet. 60 Milchbauern weniger sind es im Vergleich zu 2020, gut 2.000 weniger als 2002. Sie haben 2021 circa 404 Millionen Kilogramm Kuhmilch und 1,6 Millionen Kilogramm Ziegenmilch an acht Genossenschaften geliefert. Im Schnitt 7.722 Kilo pro Kuh.
Das ist die übliche Form des „Systems Milch“ (so der Titel einer erhellenden Dokumentation des Südtiroler Filme-machers Andreas Pichler): Die Bauern produzieren, liefern die Milch ab, sie wird von den Genossenschaften verarbeitet und vermarktet. Christian Fischer, Professor für Agrarwirtschaft an der Freien Universität Bozen, nennt das System „Vertragslandwirtschaft“ (siehe Interview auf Seite 35). Das gebe den Bauern einerseits Sicherheit, hemme andererseits die Erneuerung.
Die Milchproduktion in Südtirol ist trotz des Bauernsterbens in den vergangenen Jahren gestiegen. Im großen Weltmilch-See bildet sie freilich nur einen Tropfen. Weltweit wurden laut Welternährungsorganisation FAO 2020 718 Millionen Tonnen Kuhmilch produziert, der größte Produzent sind die USA mit 101 Millionen Tonnen, in Italien sind es 14,5 Millionen. Im Schnitt konsumiert jeder Mensch 115 Liter Milch im Jahr – dabei wird immer weniger Milch getrunken, aber mehr Joghurt und Käse gekauft. 124.633 Rindviecher hat das Land 2020 in Südtirol gezählt, 30.000 weniger noch als im Jahr 2000. Dafür gibt es jetzt mehr Ziegen (27.470) und Geflügel (250.000).
Milch macht gesund, so die große Erzählung, mit Milch zieht man Kinder groß, in der Milch steckt die Kraft einer ursprünglichen Natur. In Südtirol wird sie mit den Bildern von glücklichen Kühen auf saftig grünen Weiden und tatkräftigen Bauern verkauft, die noch die Sense schwingen. Die Milch suggeriert die Fortsetzung einer jahrhundertealten Tradition, eine enge Verbindung zu einer Vergangenheit, in der die Welt noch heil war. Die Bilder von glücklichen Kühen und Bauern braucht man für die Tourismuswerbung. Der Sennerei-verband verspricht auf seiner Website, ein „authentisches Geschmackserlebnis und einen hohen Gesundheitswert. Pure Frische liegt in unserer Natur. Und pure Natur ist der Hauptbestandteil der einzigartigen Südtiroler Milch und ihrer Produkte.“ Doch der Konsum von Milch ist eher ein westliches Phänomen, viele Menschen, besonders in Asien, vertragen Milch nicht, auch wenn China schon zu den großen Produzenten von Milch gehört.
Auch die Haltung der Kühe ist in Misskredit geraten. Etwa die Anbindehaltung in kleinen Ställen mit wenig Luft und Licht, ohne Auslauf – in Südtirol ändert sich das nur langsam. Oder der Umstand, dass Kühe ständig trächtig sein müssen, um Milch zu geben – dafür werden sie meistens künstlich besamt. Kühe, die zu Höchstleistungen getrieben werden, haben kein langes Leben, nach vier, fünf Jahren sind sie ausgelaugt.
Weil der Bauer die Milch braucht, wird das Kalb in der Regel sofort nach dem Kälbern der Mutter entrissen, die Kuh ist ja schon zwei Monate vor dem Kälbern „trocken gestanden“. Sanfter ist die Mutter-Kuhhaltung, wo das Kalb bei der Kuh bleiben darf. Doch das schmälert die Milchleistung und die Rendite des Bauern. Und die ist schmal genug. -Hannes Tratter etwa schätzt sein Monatseinkommen auf 2.000 Euro netto. Für einen Milchbauern ein gutes Einkommen.
Johann Tappeiner ist mit 57 schon der Altbauer am Oberniederhof in Unser Frau in Schnals. Er hat den Hof, ein Ensemble unter Denkmalschutz mit Stall, Stadel, zwei Wohnhäusern in malerisch abgedunkeltem Lärchenholz, schon an seinen Sohn Fabian übergeben. Übernommen hatte er ihn wiederum von seinem Vater 1991. Er hat bei der Übergabe mit dem Jungbauern einen Deal gemacht: Der Altbauer kümmert sich am Wochenende um die Kühe. So kann der Sohn ein Beziehungsleben haben.
Tappeiners Frau schnürt mit der Enkelin im Kinderwagen über den Hof, seine Mutter sitzt in Trauerschwarz auf einer Bank, der Hund warnt vor Besuchern, die Kirche und daneben ein Hotel liegen in Sichtweite. Der Stall ist um halb zehn Uhr morgens schon leer, die Kühe sind auf der Weide neben dem Hof.
„Es werden“, sagt Tappeiner, „Veränderungen kommen. Das war früher auch die Stärke der Bauern, auf Veränderungen schnell zu reagieren, durch das Genossenschaftssystem sind sie gebunden, mit dem Denken hintennach.“
Seine Herde zählt 25 Rinder, davon zehn Milchkühe. Pro Kuh um die 5.000 Liter im Jahr. Seit er die Kälber nicht gleich von der Kuh wegtut, hat sich die Milchmenge um die Hälfte reduziert. Milch und Fleisch verarbeitet er selber. Der Milchhof setzte ihn vor die Tür, als er begann, die Milch selber zu verarbeiten und die Produkte im Hofladen zu verkaufen.
Seine Frau kümmert sich um den Hofladen und die drei Ferienwohnungen, die eine Tochter hat eine Alm übernommen, die andere, Grafikerin von Beruf, ist für Marketing und Website verantwortlich, die dritte ist Pädagogin und macht mit dem Vater Schulungen am Hof. So ein Betrieb funktioniert nur, wenn die Familie zusammenhält. Doch auf das Modell der herkömmlichen Familie kann die Landwirtschaft nicht mehr bauen: Ehen gehen in die Brüche, die Geburtenrate ist niedrig, die Kinder lassen sich nicht mehr zu den Kühen in den Stall treiben, junge Bauern wollen ein Leben neben der Arbeit.
„Die Milchwirtschaft ist in Krise“, sagt Johann Tappeiner, „und das ist eine ernste, keine herbeigeredete Krise. Und sie besteht nicht erst seit gestern, die Anzeichen gibt es schon lange.“
Die Familie Tappeiner macht sich im Moment viele Gedanken. Hat es einen Sinn, die Milchwirtschaft weiter zu betreiben bei diesen Kosten? Was ist wichtig, wie können wir selber gut leben? „Nur arbeiten“, sagt Johann Tappeiner, „bringt uns nicht weiter.“
Warum denken Sie daran, die Milchwirtschaft aufzugeben?
– Ist sie noch rentabel? Wenn wir die Preise erhöhen, springen uns die Kunden ab. Wir wollen kein elitäres Produkt anbieten, das die Leute sich nicht leisten können. Mehr produzieren will ich nicht, dann würden die Kosten steigen, müsste ich den Tierbestand ausreizen, mich spezialisieren, einen neuen Stall bauen. Man kann den Milchpreis stützen, aber es gibt eine natürliche Marktgrenze. Auch die Milchhöfe müssen sich in einem Preisrahmen bewegen. –
Auf die Milch verzichten, geht das?
– Die Milch wird bleiben, aber wir haben auch eine Gruppe von Bauern, für die die Produktion von Milch nicht mehr wirtschaftlich ist. Intakte Natur, Vielfalt sind das wichtigere Produkt als ein Liter Milch oder ein Kilo Fleisch. Die Gäste kommen wegen der Natur, wegen der Sehnsuchtsorte, die sie hier finden. Die Landwirtschaft ist essentiell, ohne sie wären unsere Ferien-wohnungen nicht belegt. –
Die Familie bewirtschaftet drei Ferien-wohnungen, Urlaub auf dem Bauernhof (UaB). Wie er geregelt werden soll, -darüber streiten sich im Moment Bauernbund und Tourismus-landesrat Arnold Schuler. Letzterer will dem UaB einen klaren Rahmen geben, der Bauernbund wehrt sich gegen jede Einschränkung. „Der Gast“, erklärt Tappeiner, „finanziert die Landwirtschaft, aber der Urlaub auf dem Bauernhof funktioniert nicht ohne artgerechte Landwirtschaft, sie ist unsere Wellness-Oase.“ Im Moment gibt es in Südtirol 2.932 Betriebe mit Urlaub auf dem Bauernhof – mit 26.930 Betten.
Südtirols Milchbetriebe sind klein, sie können sich nicht ausdehnen, die Lage erfordert oft noch Handarbeit, in Steillagen helfen oft auch Maschinen nicht mehr. Unter 20 Kühen im Stall sind sie nur schwer rentabel zu betreiben, wenn der Bauer die Milch nicht selber zu Käse, Jogurt oder Quark verarbeitet oder auf biologisches Wirtschaften umstellt.
In die Ertragsrechnung eingepreist sind immer auch die steuerlichen Vorteile, die Bauern genießen (Steuergrundlage sind die Katasterwerte, nicht das Einkommen), die Erleichterungen bei der Mehrwertsteuer, die Förderungen der EU oder des Landes – 10 Cent pro Kilo. „Der Anteil der Förderungen am Gewinn“, sagt Siegfried Rinner, Direktor des Südtiroler Bauernbundes, „liegt bei 65 bis 70 Prozent.“ Die Prämien für die Milchbauern (für die Zucht lokaler Rassen, für die Landschaftspflege oder die Tiergesundheit) liegen bei 1.100 Euro pro Hektar. „Nur durch Förderungen und Zusatz-einkommen“, sagt Annemarie Kaser, „können die Bergbauern das notwendige Familieneinkommen erwirtschaften.“
Die Milch- und Viehbauern hängen am Tropf der öffentlichen Hand. Es gibt eine Unzahl an Beihilfen. An die zehn (!) Viehzuchtverbände: gut 2 Millionen Euro im Jahr; den Sennereiverband: 1,2 Millionen; die Tierzüchter zur „Förderung der Tiergesundheit“: 2,5 Millionen; für, so heißt es im Bürokratendeutsch, den „Ausgleich von logistischen Nachteilen der Sammlung von Qualitätsmilch in Berggebieten“: 1,9 Millionen; „zur Förderung der Tierzucht“: 620.000 Euro; die Versicherung im Bereich der Tierhaltung: 1,7 Millionen.
Bauern pflegen die Landschaft und verhindern damit Naturkatastrophen, erhalten soziale Strukturen und Arbeitsplätze, wandern nicht ab und verhindern damit die Entvölkerung ganzer Landstriche wie bei den Nachbarn im Veneto, die intakte Landschaft ziehe die Gäste an. So werden die Beiträge an die Bauern begründet.
Bauernbund-Direktor -Rinner hat für ff die Rechnung gemacht, was am Ende des Monats einem Milchbauern bleibt – Berechnungsgrundlage ist ein Hof mit 20 Kühen. Die Bruttoeinnahmen pro Hektar liegen im Schnitt bei 5.600 Euro, rechnet man Förderungen, Tierverkäufe (ein Rind brachte 2020 bei Versteigerungen im Schnitt 742 Euro) und sonstige Einnahmen dazu, sind es 7.000 Euro. Im Obst- und Weinbau sind es dreimal so viel.
„Bei guten Milchbetrieben“, erklärt Rinner, „lag die Gewinnrate bei 20 Prozent, also bei 1.400 Euro pro Hektar, für 2022 erwarten wir, dass der Gewinn auf 800 Euro pro Hektar sinkt.“ Milch machen, ohne Förderungen und Zuerwerb, sei in diesem Jahr ein Verlust.
„Viele“, sagt Johann Tappeiner, „werden Schwierigkeiten bekommen, weil sie groß gebaut haben.“
Werner Mitterrutzner, 37, hat Stall, Stadel und Wohnhaus in den vergangenen Jahren neu aufgestellt. Sonst hätte der Hof auf 1.300 Metern Meereshöhe keine Zukunft gehabt. Will man zu ihm, muss man vom Eisacktal hoch nach Latzfons. An seinem Hof endet die Straße. Hier ist es „schelch“, so steil, dass manche Wiesen mit der Sense gemäht werden müssen. Der Bauer ist gerade dabei Bretter zu sägen. Er schaut in den Himmel, als wollte er sagen, eigentlich müsste ich mähen, bevor es regnet, anstatt mit einem Journalisten zu reden.
Doch er redet gern und wird schweigsam, wenn es um Geld geht. Der neue Stadel ist hoch, groß, hell, luftig: Wie viel hat er gekostet? „Je nachdem ...“ – -Mitterrutzner hat selber viel getan, seine Freunde haben ihm geholfen. Aber wer heute einen neuen Stadel baut, der den Richtlinien für das Tierwohl entspricht (siehe Kasten auf Seite 38), muss mit einer Ausgabe von einer halben bis einer Million Euro rechnen, wer sich einen geländegängigen neuen Traktor mit Heulader und Güllewagen zulegt, blättert schon mal 200.000 Euro hin, eine Mähmaschine, die sich am Hang hält, kostet um die 50.000 Euro. „Damit“, sagt Werner Mitterrutzner, „kann ich aber nicht nach Bozen fahren.“
Der Bauer lebt auf dem Außerranzurerhof mit seiner Frau und den drei Kindern, seinen Eltern und dem jüngsten Bruder. Das alte Wohnhaus hatte nur 55 Quadratmeter Wohnfläche, also hat -Mitterrutzner ein neues gebaut, die Balkone sind noch nicht ganz fertig.
Er führt uns durch den Stall, er hat einen energischen Schritt, er zeigt uns den Platz, wo die Kühe zum Melken antreten, die Boxen für die verschiedenen Qualitäten von Heu, die Lüftungsanlage, den Kran für das Heu, das Büro, in dem die Diplome für die Viehzucht an der Wand hängen und der Container mit den Samendosen für die Kühe auf dem Boden steht – sie sind in Stickstoff kühl gelagert. Im Stall stehen 12 Kühe, 80.000 bis 100.000 Liter Milch liefert der Hof im Jahr an den Milchhof in Brixen.
Doch für das Überleben der Familie reicht das nicht. Die Frau geht arbeiten, Mitterrutzner geht arbeiten, auch wenn er im Moment Vollerwerbsbauer ist – das Haus muss fertig werden. Er hat Tischler gelernt und war beim Rodelbauer -Torggler draußen im Dorf angestellt.
Was ist das für ein Leben? Arbeit ist es. Um fünf in der Früh aufstehen, in den Stall, dann um halb acht bei der anderen Arbeit, um fünf daheim und wieder in den Stall. Ein Arbeitstag mit einem Haupt- und einem Nebenerwerb hat da sehr viele Stunden und vom „Sonntag“, sagt Mitterrutzner, ein kräftiger Kerl mit markanter Stimme, „verstehen die Kühe nicht viel.“ Das letzte Mal in Urlaub war er im Jahr 2006, auf Hochzeitsurlaub, und danach noch einmal eine Woche.
Werner Mitterrutzner ist wild entschlossen, seine „Huamat“ zu bewahren und dafür viel zu arbeiten. Er ist hier verwurzelt, er hängt an diesem Platz. „Das hier“, sagt er, „muss man schon wollen. Wir tun etwas, gehen arbeiten und schauen, dass wir den Hof weiterbringen.“
Im Moment, erzählt er, läuft es so: Es kommt der Mann vom Maschinenring (Verleih für landwirtschaftliche Maschinen) und sagt: Der Diesel kostet mehr, wir müssen leider mehr verlangen; es kommt der Brief vom Futtermittelhersteller: Wir sind leider gezwungen, die Preise anzuheben; und bei der Versammlung des Milchhofs heißt es: Die Kosten sind gestiegen. Also zahlt der Milchbauer zweimal für die höheren Kosten, seine eigenen und die der Sennerei, wenn er für die Milch nicht mehr bekommt. „Der Preis muss gerecht sein“, sagt der Bauer, „sonst verkaufen wir bald nichts mehr.“
Wer die Milch an die Sennereien liefert, bekommt alle zwei Monate eine Akonto-Zahlung, abgerechnet wird erst im Mai des darauffolgenden Jahres. Der Bauer weiß also erst im Mai 2023, wie viel er wirklich für die Milch bekommt, die er im Jahr 2022 geliefert hat.
Mitterrutzner redet, schaut an einem vorbei, streichelt die Kuh und sagt dann: „Auf den Höfen haben wir zum Teil ein großes Tierwohl und ein schwieriges Bauern-wohl.“ Es schleicht sich eine kleine Verzagtheit in seine Stimme, als er sich fragt: „Was tue ich, wenn die Preise noch weiter steigen?“ Seine Prognose ist wenig optimistisch: „Die Betriebe mit vier, fünf Kühen haben vor Jahren aufgehört, die mit sechs, sieben fallen gerade weg, die mit zehn werden es nicht mehr lange packen, geht es so weiter.“
Von Mitterrrutzners Stall hat man von der offenen Seite, durch die das Licht hereinflutet, einen guten Blick auf die umliegenden Bauernhöfe. Von den acht Höfen machen nur mehr drei Milch, einer steht gar zum Verkauf.
Einer, der den Milchbauern jetzt helfen soll, ist der Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler, ein Apfelbauer. Er hat es als Landesrat mit den mächtigsten -Lobbys im Land zu tun, mit den Bauern und als Zuständiger für den Tourismus mit den Hoteliers. Beide Verbände sind laut und gut organisiert.
Das Land hat für die Milchbauern jetzt eine Soforthilfe von 300 Euro aufgelegt. Eine Summe, die kaum hilft, aber für Unmut sorgt. „Das Schönste“, sagt Hannes Tratter, „ist, wenn die Bauern Geld für ihr Produkt bekommen. Die 300 Euro sind kontraproduktiv, sie schaffen Unfrieden, helfen nur wenig.“ Wenn Werner Mitterrutzner unter die Leute geht, hört er: Jetzt hat euch der Landesrat wohl wieder Geld zugeschanzt. Und er fragt sich: Warum höre ich nichts, wenn die Tanzlokale Geld vom Land kriegen?
Wie alle Bauern hat auch Mitterrutzern Anrecht auf die „normalen“ Förderungen. Für Maschinen: 20 Prozent des „anerkannten Höchstpreises“ (30.000 Euro bei einer Mähmaschine), 30 Prozent in ausgesetzten Lagen oder 20 Prozent des Güllefasses (anerkannter Höchstpreis: 50.000 Euro). Für die landwirtschaftliche Wohnung: 15 bis 50 Prozent der Kosten je nach Betriebskategorie und Beitragsstufe, 35 bis 55 Prozent für Stall und Stadel.
Landesrat Arnold Schuler kämpft gerade mit den Bauern. Er will, dass der Urlaub auf dem Bauernhof nicht vom Bettenstopp ausgenommen wird. Und die Pressekonferenz für sein Konzept für die „Landwirtschaft 2030“ musste er schon einmal verschieben. Er hat eine Botschaft: „Wir haben die Grenzen des Wachstums erreicht, es braucht neue Denkweisen.“ Die Crux des Schulerschen Wirkens: schöne Botschaften, heftiger Widerstand, also schleppende Umsetzung.
Sie sprechen von neuen Konzepten, und greifen mit Soforthilfen ein?
– Die 300 Euro sind eine Soforthilfe, aber es braucht neue Konzepte, um die Wirtschaftlichkeit der Betriebe zu sichern. Nur mit fünf Kühen wird man keine -Familie ernähren können, selbst wenn man das Doppelte für die Milch bekommt. –
Also?
– Es wird weiterhin Beiträge brauchen, aber es wird nicht funktionieren, wenn man nicht aus dem, was man tut, eine bestimmte Wertschöpfung erzielt. –
Das heißt?
– Nischenkulturen, Urlaub auf dem Bauernhof, Zusammenarbeit mit dem Tourismus. Das ist doch der Luxus, den wir bieten können, wenn das Produkt von nebenan auf den Teller kommt. –
Arnold Schuler hat die Milchhöfe aufgefordert, an neuen Konzepten zu arbeiten, „wenn die Beiträge fließen sollen wie bisher“. Es geht um Zusammenarbeit und neue Produktlinien. Eine Möglichkeit, die Höfe zu erhalten, wäre die Kooperation zwischen Bauern – gemeinsame Haltung einer größeren Herde – und eine Differenzierung im Premium-segment, sagt Christian Fischer. Doch er warnt: „Förderung ist Anschub, keine Pension.“
Die Landwirtschaft muss sich der globalen Konkurrenz stellen, Betrieben in ganz anderen Größenordnungen. Eine Herde im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zählt im Schnitt 246 Kühe, in der Nähe der spanischen Stadt Saragossa plant eine Genossenschaft Ställe für 23.000 Kühe und hat dafür schon 900 Hektar Land aufgekauft, der größte chinesische Milchviehbetrieb melkt am Tag 135.000 Kühe.
Fischers Kollege Matthias Gauly, Professor für Nutztierwissenschaft an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der Uni Bozen, hat im Landesstall „Mair am Hof“ in Dietenheim erforscht, ob es eine Alternative zur vorherrschenden Produktionsweise („High input“) – ganzjährige Stallhaltung, hoher Einsatz von Kraftfutter – gibt. Man setzte auf Grauvieh, Weidegang und reduzierten Einsatz von Kraftfutter, untersuchte Tiergesundheit, Futterverbrauch, Produktion von Methangas (eine Kuh stößt an die 100 Kilo des Klimakillers pro Tag aus) und Wirtschaftlichkeit. „Die bisherigen Ergebnisse“, sagt Gauly, „zeigen viele positive Seiten dieses Low-Input-Systems, aber auch dessen Grenzen, etwa die stagnierende Nachfrage nach Bioprodukten. Und sein Erfolg hängt von der hochpreisigen Vermarktung der Milch ab.“
Der Südtiroler Bauernbund beschwört indes die Tradition, „Familien“, wie Siegfried Rinner sagt, „die fest mit ihrem Hof verwurzelt sind und daher auch viel Arbeit und Mühe auf sich nehmen, um ihre Huamat zu erhalten“. Es brauche einen Milchpreis über 80 Cent je Liter, eine Stärkung des regionalen Marktes und des Zuerwerbs.
Christian Fischer sagt: „Milch gibt es insgesamt genug, der Preis wird über den Markt definiert.“ Das heißt: Die Zahl der Milchbauern wird weiter schrumpfen, weil viele Höfe nicht wirtschaftlich arbeiten können, Kinder andere Pläne haben, die Haltung zur Arbeit sich verändert, Arbeit und Arbeit am Hof sich nicht mehr vereinbaren lassen, Ernährungsgewohnheiten wechseln, öffentliche Haushalte schrumpfen, Förderungen an nachhaltiges Wirtschaften gebunden werden.
Die Läden haben die Milchpreise schon erhöht, um zehn bis 20 Cent, ein Liter normale Südtiroler Milch kostet um die 1,50 Euro, Biomilch 1,70 Euro. Politik, Milchhöfe, Verbände beraten hingegen noch, an „Milchtischen“, was zu tun ist.
Johann Tappeiner wohnt auf einem Hof, der 700 Jahre alt ist, viel Tradition liegt in diesem Ensemble. Doch er sagt: „Die Krise wäre eine Möglichkeit, etwas zu verändern. Im Moment sind wir nicht schnell genug.“
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Das Wohlergehen der Kühe
Matthias Gauly, Professor für Nutztierwissenschaften an der Uni Bozen, hat erhoben, wie es um das Tierwohl in Südtirols Ställen steht. Tierwohl meint, erklärt er, „das Leben und Wohlbefinden von Tieren zu schützen und ihnen ohne vernünftigen Grund keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen.“ Tierwohl benennt, wie es dem Tier geht, Tierschutz, was getan wird, um das Tierwohl zu sichern. Parameter für die Bemessung des Tierwohls sind nicht nur die Fläche, die dem Tier im Stall zur Verfügung steht, oder die Gestaltung des Stalls, sondern auch Hautverletzungen, Erkrankungen und Verhalten der Tiere.
Tierwohl war in Südtirol – und auch in Italien – lange kaum Thema, gesetzliche Regelungen werden von der Bauernlobby aufgeweicht. Kühe wurden/werden im Normalfall das ganze Jahr im Stall gehalten, angebunden, das ändert sich erst langsam. Neue Ställe sind Laufställe, hell, hoch und luftig – so wie der Stall von Werner Mitterrutzner in Latzfons (siehe Hauptgeschichte). Es müsse im Stall dafür gesorgt sein, sagt Gauly, dass die Tiere keine Schmerzen litten und sich keine Verletzungen zufügen könnten. Betriebe, die Bio-Milch produzieren, müssen schon für Auslauf sorgen, die Tiere auf die Weide treiben. Johann Tappeiner vom Oberniederhof in Schnals lässt ihnen auch die Hörner. Das, sagt er, mache die Milch bekömmlicher. An der Temperatur der Hörner kann er ablesen, wie es der Kuh geht. Sind sie warm, stimmt etwas nicht.
„Die größte Herausforderung“, sagt Matthias Gauly, „ist die Optimierung der Anbindehaltung: Wir müssen wie unsere Nachbarn zu einer kombinierten Anbindehaltung kommen, Weidegang wenigstens in der Vegetationsperiode erreichen, das fordert auch der Markt, sodass es hier keine Alternative geben wird.“ Aber warum nur in der Vegetationsperiode? Weil sonst viele Betriebe in der Berglandwirtschaft aufgeben müssten, kleine Bauern, die vom Bau eines neuen Stalls finanziell überfordert wären. Die günstigste Haltungsform für Kühe, sagt der Universitätsprofessor, sei aber auf jeden Fall der „richtig konzipierte Laufstall in Kombination mit Auslauf und Weidehaltung“. Das sei für einige Betriebe eine große Herausforderung und in Südtirol „gegenwärtig und vermutlich auch zukünftig flächendeckend nicht umsetzbar“. (gm)
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