Außensicht

Die Causa Rammstein: Herzeleid

Aus ff 25 vom Donnerstag, den 22. Juni 2023

Ich war immer davon ausgegangen, dass Südtirol ein Land der Rammstein-Fans ist. Wir packen im Juni Pyrotechnik auf unsere Berge, lassen uns im Dezember von Teufeln mit Ruß beschmieren und beauftragen „Volks-Rock’n’Roller“ mit Hymnen. Der Hang zum Traditions-Theater fließt durch unsere Adern, oder wie Rammstein grölen würde: „Mein Herz BRENNT!“

Insofern waren die vergangenen Wochen für Südtirols Fans nicht einfach, man musste viel lesen über den bösen Buben Till Lindemann und seine Band: von dubiosen Partys und einem Casting-System für blutjunge Mädchen, die dem Sänger „zugeführt“ wurden. Seitdem lodern die Herzen so schwach, dass die Tageszeitung die verbliebenen Groupies sogar interviewt: Philipp Burger von Frei.Wild und Ulli Mair von den Frei.Heitlichen. Was hält sie an Rammstein?

Bei Burger ist es der Eigennutz: Im Gegenteil zu „schier allen deutschen Rock-Acts“ habe sich die Band nie negativ zu Frei.Wild geäußert. So ist das unter lärmenden Männern, man hält zusammen. Bei Ulli Mair ist die Sache komplizierter, sie wählt den Weg des Feuilletons: „Für mich als Fan steht die Kunst im Vordergrund“, sagte Mair.

Nun weiß ich, was es heißt, von Musikern enttäuscht zu werden. John Lennon und Ringo Starr schlugen ihre Frauen, George Harrison hatte Affären und Paul McCartney schrieb den Horror-Song „Ebony and Ivory“. Alle haben sie ihre Leichen im Keller, trotzdem höre ich die Beatles. Bis auf McCartney haben sie die Missetaten immerhin bereut.

Rammstein sind noch nicht so weit. Seit Ulli Mairs Interview erfuhren wir dort von „Schlampenparaden“ und einer Entourage, die sich beim „Resteficken“ vergnügte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des mutmaßlichen Einsatzes von K.O.-Tropfen, Lindemann klagt Betroffene. Hat Mair ihre Meinung geändert? „NEIN“, schreibt sie auf Anfrage, sie freue sich aufs Konzert, sei kein Richter und an Vorverurteilung beteilige sie sich nicht. So viel Dialektik ist lobenswert. Ich hoffe, sie denkt daran, wenn der nächste mutmaßliche Straftäter mal nicht auf Bühnen zu Hause ist, sondern im Bozner Bahnhofspark.

von Anton Rainer | Redakteur im Ressort Wirtschaft beim Spiegel in Hamburg

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