Außensicht

Bleischießen mit den Fratelli: Durchgeknallt

Aus ff 02 vom Donnerstag, den 11. Januar 2024

Zu den verrücktesten Dingen, auf die sich unsere Gesellschaft geeinigt hat, gehört die explosive Eskalation am 31. Dezember. Das ganze Jahr über sind wir vorsichtig, zählen Kalorien und fahren unsere Kinder im SUV spazieren, aber an Silvester drücken wir besoffenen Männern Raketen in die Hand – und hoffen schulterzuckend, dass alles gut geht.

Geht es natürlich nie: 1.589 Feuerwehreinsätze gab es dieses Jahr allein in Berlin, 54 Polizistinnen und Polizisten wurden verletzt. Man fand Molotow-Cocktails und brennende Carsharing-Autos, und in Friedrichshain schossen Vermummte mit Raketen auf Menschen. Am Ende schrieben die Zeitungen hier von einer »ruhigen Silvesternacht« und ich überlegte still: Wie klingt wohl eine unruhige?

Vielleicht sollte ich Emanuele Pozzolo fragen. Der Partei­kollege von Giorgia Meloni hatte am Silvesterabend die clevere Idee, auf einer Feier im Piemont seinen „kleinen Revolver“ herumzuzeigen. Sigmund Freud hätte Tränen gelacht – der Partygast, in dessen Wade wenig später eine Kugel steckte, freute sich weniger. Aber so ist das mit Silvester­abenden: Die einen zünden Mini-Ciccioli, die anderen eine Handfeuerwaffe. Frohes Neues Bein!

Pozzolo, der Meisterschütze, soll nun von seiner ­Partei suspendiert werden, dabei hat er eigentlich alles richtig gemacht. Seit Jahren kämpfen die Fratelli (vulgo: „Brothers in Arms“) für laxere Waffengesetze – er setzt sie einfach durch. Nebenbei belebt der Mann eine vergessene Tradition: Blei schießen statt gießen! Wer will ihm das verargen?

Für mich stärkt der Fall in erster Linie die These, dass viele konservative Männer in Wirklichkeit Fünfjährige im Körper eines Erwachsenen sind. Oder vielleicht drei Fünfjährige in einem Trenchcoat. Während sich die meisten von uns um ernste Probleme kümmern, erleben sie die totale Regression: Winnetou, Star Wars, Revolver, peng peng. Wo geschossen wird, ist Leitkultur. Der Vorteil? Vielleicht müsste man den Fratelli gar keinen Sitz in der Landesregierung anbieten, keine Posten und keine Koalition. Vielleicht reichte schon ein großer Karton Sternspritzer und ein Mitgliedskartl für den Schützenbund.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

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