Nachruf auf einen Priester: Nichts als das Böse

In kaum einer Textform wird so viel und gerne gelogen wie in der Todesanzeige. Wenn es schwarz auf weiß kommt, wird aus der garstigen Tante plötzlich die „liebe Gotl“, aus dem treulosen Säufer der „geliebte Ehemann“ und aus verpfuschten Jahrzehnten ein „langes, erfülltes Leben“. Nihil nisi bene, nichts als Gutes möge man über die Verstorbenen schreiben, sagt der Lateiner. (Und ein paar Bündel Scheine möge man dafür hinblattln, sagt der Ebner.) Wer würde daran etwas ändern wollen?
Zum Beispiel, ausgerechnet, die katholische Kirche. Vergangene Woche las ich den Nachruf auf einen der Ihrigen – und traute meinen Augen kaum. „Propst Johann Huber verstorben“, stand da, im zarten Alter von 96 Jahren. Da­runter ein Foto, eine trockene Vita und zwei simple, erbarmungslose Sätze: „In seinem Einsatz in der Jugendseelsorge gab es auch Schattenseiten: Durch grenzüberschreitendes Verhalten hat er junge Menschen verletzt.“
Nun fielen mir noch einige Sätze ein, die man dem Herrn Propst an dieser Stelle nachwerfen könnte (zum Beispiel der: „Nur die Guten sterben jung.“), aber ich anerkenne, dass die Kirche einen ersten Schritt macht – und Schweinereien zumindest als solche benennt. „Pietätlos“ nennen manche eine solche Parte, dabei ist nichts so pietätlos wie sexueller Missbrauch.
Plötzlich wirkt die Kirche fortschrittlicher als andere, die den Nachruf noch immer als Reinwaschung missverstehen. Wie gern hätte man etwa im vergangenen September davon gehört, wie „grenzüberschreitend“ sich Silvio Berlusconi gegenüber der 17-jährigen Ruby verhielt. Aber als Julia Unterberger dessen „Schattenseiten“ ansprach, drehte ihre eigene Partei am Rad: Wie kann man nur?? Unangemessen sei das, unangebracht!! Tatsächlich hatte die Senatorin ihre Trauerrede mit einem prophetischen Hinweis eingeleitet: „Wir sind nicht in einem Gotteshaus, sondern im Parlament“, sagte sie, „Nichts als das Gute“ gelte hier nicht. Sie täuschte sich gleich doppelt.

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