Freiwild-Sänger Philipp Burger durfte heuer das Andreas-Hofer-Heldenlied in Meran singen. Und teilte gegen die Linken aus. Chronik einer seltsamen Vorstellung.
Außensicht
Schreiben über Südtirol: Heile Welt
Aus ff 08 vom Donnerstag, den 22. Februar 2024
Wenn deutsche Journalisten über Südtirol schreiben, tun sie das fast immer nach demselben Muster. Sie schreiben über die Schönheiten des Landes, die urigen Menschen und diese majestätischen Berge – bevor sie dann im zweiten Absatz plötzlich zurückschrecken: Steckt hinter der hübschen Fassade womöglich das Grauen? War die Schönheit gelogen, das Bergvolk doch nicht nett?
Ich nenne diese Technik den „Panoramaflug mit Absturz“, und wenn man beim Lesen einmal mitgeflogen ist, entdeckt man ihn immer wieder. Zuletzt etwa in der Berliner Taz: „Unberührt wirkt die Natur, hoch oben auf den Bergen des Vinschgau in Südtirol. Die saubere Luft, der weite Blick über die sattgrünen Almwiesen und die mit Nadelholz bewachsenen Hänge: Hier ist die Welt noch in Ordnung.“ (Thema: Pestizid-Belastung).
Oder in der Frankfurter Allgemeinen: „Endlose Pfade ziehen durch eine idyllische Landschaft, Hügel und Berge wollen erklommen werden, Seen laden zum Baden ein.“ (Thema: Rollstuhlfahrer, für die Wanderwege zu „Folterstrecken“ werden). Besonders effizient ist die Bild, die den Absturz schon mal in drei Sätzen erledigt: „Es ist ein geradezu paradiesischer Ort. Das Kloster Neustift bei Brixen in Südtirol. Es ist das neue Gefängnis von Stefan L. (27).“ Oder die Welt, die die ganze Malaise in sechs Wörter packt: „Zwischen Idylle und Abgrund am Lagazoi“.
Ich sammle solche Beispiele, weil sie mich faszinieren. Woher kommt die Überraschung, dass auch in schöner Landschaft Unheil geschieht? Erwarten wir an Dubais Glitzerstränden weniger Korruption? Im blitzeblanken Zürich weniger Geldwäsche? Vermutlich nicht, doch kaum steht der deutsche Journalist vor einem Gipfel, meint er, seine rhetorische Fallhöhe gefunden zu haben: Wer würde denn nur morden/betrügen/Gift spritzen wollen – vor diesem Panorama??
Newsflash, liebe Kollegen: Schönheit schützt vor Skandalen nicht – und wer diese Erleuchtung jedes Mal aufs Neue braucht, vergeudet wertvolle Recherchezeit. „In Ordnung“ war die Welt noch nie, sonst hätten wir ja nichts zu tun.
von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg
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