Kalender: Unsere „Tage“

Jedem Kalendertag sein „Tagesheiliger“ – so war’s einmal. Mit Andauer der Kirchengeschichte hat sich der Heiligenhimmel dermaßen überfüllt, dass sich ganze Heerscharen um ein und denselben Tag raufen. Das Jahr hat nicht genug Tage für alle. Ab und zu entrümpelt deshalb die Kirche ihren Heiligenkalender. Geringer-Heilige müssen dann Höher-Heiligen weichen. Es verhält sich mit ihrer Verehrung gleich wie mit den Gedächtnismessen für Gemeinverstorbene: Die Messe zum „Jahrtag“ gibt’s nur mehr im Paket mit vielen.

Warum ich darauf zu sprechen komme: Dem weltlichen Gedächtniskalender geht’s bald noch schlimmer. Der Weltfrauentag vom 8. März, um nur den aktuellsten Fall herzunehmen, führt sich auf, als sei er der einzige Pflichttermin fürs kollektive Gedächtnis. Ist weit gefehlt.

Ich habe nachgezählt und komme allein im März auf 43 amtlich international oder zumindest europäisch patentierte „Tage“. Am 1. März war der Welttag fürs Seegras, am 2. der Null-Diskriminierungstag, am 3. der Artenschutz-Welttag, am 4. der Tag der Grammatik. Auch den gibt’s. Einzig der 9. März ist gedenkfrei. Vermutlich in nachhallender Verneigung vor dem Frauentag vom 8.. Dafür ist am Tag drauf, dem 10., „Gedenktag“. Auch des Gedenkens an sich wird also gedacht.

In solcher Gedenktage-Hypertrophie geht’s weiter. Am 14. März, dem Tag des Erscheinens dieser ff (oder sollte es schon heißen „Erscheinung“ der ff?), begehen wir den „Welt-Staudamm-Tag“ und außerdem den Tag der Mathematik, in der Fachwelt Pi-Tag (pi wie π) genannt.

Ach, die „Tage“! Den kirchlich abgewerteten Josefitag (19. März) versuchen sie schamhaft in einen weltlichen „Vatertag“ zu recyceln. Tag der „Tage“ im März, Frauentag eingeschlossen, ist aber der 21ste. Der ist außer Frühlingsbeginn Down-Syndrom-Welttag, Tag gegen Rassismus, Tag des Waldes, der Gletscher, der Hauswirtschaft, der Poesie und Tag gegen den Clusterkopfschmerz.

Ihr weltlichen Heiligen, mir graut vor euch.

von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff

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