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Außensicht
Populismus: Rote Schlangenlinie
Aus ff 20 vom Donnerstag, den 16. Mai 2024
Von allen Krankheiten, die Politiker befallen können, ist die Populismus-Infektion die wohl gefährlichste. Sie verbreitet sich rasend, über Galle-Tröpfchen und Facebook-Blasen, sie gedeiht in Bärten und kann über eine ganze Legislatur inkubieren. Vor allem aber sind Betroffene oft uneinsichtig: Manch Abgeordneter würde eher Genitalherpes zugeben als einen Populismus-Bazillus. „Wir schauen dem Volk doch nur aufs Maul“, sagen sie – und rotzen nur heimlich noch ein bisschen rein.
Puh, denkt man sich da als besorgter Bürger, so hat schon manche Pandemie begonnen. Wie lässt sich die Ausbreitung noch stoppen? Wo ist das Kitzloch, wo der Fledermausmarkt der Populisten? Die SVP versuchte es Anfang Mai mit einer Präventionsmaßnahme: einer dicken roten Linie. Was zunächst aussah, als würde gleich ein Bürgermeister die Schere zücken, um einen Kreisverkehr einzuweihen, war in Wirklichkeit eine Abstandsregelung, zum Schutz vulnerabler Gruppen: Hinter der Linie stehen die Demokraten. Und jenseits davon ein Skilehrer, dem man (wie allen Skilehrern) besser nicht zu nahe kommt.
Selbstverständlich könnte man nun kritisieren, dass es keine Woche dauerte, bis Regierungsmitglied Marco Galateo auf der Linie fröhlich Seil tanzte. Dass er mitten im Landtag den Faschismus verharmloste, seiner langen Liste an Unappetitlichkeiten („Rasse der Bergziegen“, Klagedrohungen, Witze über Folter) eine weitere hinzufügte. Aber wer das tut, hat die rote Linie nicht verstanden: Sie ist flexibel und elastisch, je nach Pandemiegeschehen! Täglich kann sie neu drapiert werden, und die SVP wird sich emsig darum kümmern, vor jeder Plenarsitzung.
Hat Ulli Mair ein Video gepostet? Ei ei, dann strickt Harald Stauder noch ein Schleifchen rein. Hat Galateo ein Interview gegeben? Da muss „La Linea“ eben neu gezeichnet werden. Auch für Äußerungen im Plenum hat sich diese Regierung etwas überlegt, einen kleinen Schnelltest: Wer sprechen will, muss vorher über die rote Linie springen – „Mitte, Grätsche, Mitte, raus“. Unter diesen Bedingungen, so die SVP, ist eine Koalition mit maximal zwei Erkrankten in jedem Fall erlaubt.
von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg
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