Bei uns in Italien gibt es noch eine alte Bohnensorte: die gambe de siora, was so viel wie „Damenbeine“ bedeutet. Es sind dünne und lange grüne ...
Außensicht
Prozess – sexuelle Gewalt: Ratlos
Aus ff 38 vom Donnerstag, den 19. September 2024
In Avignon findet derzeit ein Prozess statt, der in unseren lokalen Medien bislang wenig Niederschlag gefunden hat: zu irrelevant (wohl kaum) oder doch unserem zarten Gemüt kaum zumutbar? Ein Mann hat seine heute 70-jährige Frau etwa zehn Jahre lang im Internet anderen Männern zum sexuellen Missbrauch angeboten, gratis. Regelmäßig mischte er der Ahnungslosen Betäubungsmittel in lebensgefährlicher Dosierung in Abendessen und Getränke, die Frau war sediert, die Männer kamen ins Haus und vergewaltigten sie in ihrem Ehebett. Der Mann sah zu oder machte selbst mit. 92 Vergewaltigungen sind dokumentiert, weil sie auf Video aufgezeichnet wurden, 51 von den 72 Tätern (die restlichen konnten noch nicht identifiziert werden) stehen jetzt in Frankreich viel beachtet vor Gericht, weil sich Gisèle Pelicot, so der Name dieser bemerkenswerten Frau, dazu entschlossen hat, den Prozess öffentlich auszutragen. Die Männer sollen Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen, die Welt soll davon erfahren.
Der Sachverhalt ist von einer unerträglichen Grausamkeit, und das nicht einmal wegen der Eiseskälte des offenbar sadistischen Hauptangeklagten, der seine Frau wie einen Gebrauchsgegenstand zur Benutzung zur Verfügung stellte und sie dann wie ein fürsorglicher Ehemann zu Arztbesuchen begleitete – seine Frau litt jahrelang unter für sie unerklärlichen Gedächtnislücken und Unterleibsschmerzen.
Der noch größere Horror tut sich auf, wenn man erfährt, dass die Männer, die bereitwillig in sein Haus kamen, um einer wehrlosen Frau sexuelle Gewalt anzutun, brave Bürger aus der Mitte der Gesellschaft sind: ein Feuerwehrmann, ein Krankenpfleger, ein Journalist, ein ehemaliger Polizist, ein Nachbar – es sind Ehemänner und Väter, allesamt aus der Gegend des Opfers, einem 6.000-Seelen-Dorf in der Provence. Haben sich lauter verkappte Triebtäter dort zufällig angesiedelt? Ist dort etwas im Trinkwasser, das unbescholtene Männer zu Bestien werden lässt?
Weder noch. Die schreckliche Wahrheit ist, dass die Männer, die Frauen als minderwertig betrachten, die Lust daran empfinden, Frauen zu misshandeln, dass diese Männer mitten unter uns sind. Überall.
von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin
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