Außensicht

Manieren: Bittesehr und Dankeschön

Aus ff 44 vom Donnerstag, den 31. Oktober 2024

Ich werde älter. Das merke ich nicht nur an den immer zahlreicheren grauen Haaren, den sich mehrenden Fältchen und einer zunehmenden Ratlosigkeit gegenüber der Jugendsprache, sondern vor allem daran, dass ich Unhöflichkeit nur mehr schwer ertrage. Also gar nicht, eigentlich.

Was mir früher höchstens ein Schulterzucken abgerungen hat, hat jetzt das Zeug dazu, in mir eine Glut der Entrüstung zu entfachen: die Kellnerin, die den Teller wortlos vor mir auf den Tisch knallt: brodel! Der Gruß, der nicht erwidert wird: brodel brodel! Die Dame, die sich beim Bäcker vordrängt: Eruption!

Bevor ich jetzt maximal boomermäßig rüberkomme wie Fräulein Rottenmeier, muss ich präzisieren: Es sind gar nicht speziell die Jungen, die in punkto Umgangsformen zu wünschen übrig lassen (achten Sie mal drauf, wer im Bus aufsteht und seinen Platz anbietet), im Gegenteil: Meine Generation ist kein gutes Beispiel. Geändert hat sich da in den letzten Jahren wahrscheinlich gar nicht so viel, bis auf meine gesteigerte Empfindlichkeit.

Möglicherweise liegt es auch weniger am Alter als daran, dass wir mittlerweile so vieles digital erledigen, über Bildschirme kurz und knapp interagieren, sodass die Ansprüche an den zwischenmenschlichen Austausch in der Offline-Welt gestiegen sind: Anpflaumen und abfertigen lassen muss ich mich eh schon in den Socials, da lege ich im realen Leben umso mehr Wert auf gute Umgangsformen.

Deshalb ein Dankeschön an alle, die auch bei Stress Zeit für ein Lächeln und ein nettes Wort finden. Die kapiert haben, dass Geiz nicht geil, Rüpelhaftigkeit nicht sexy und Freundlichkeit ganz bestimmt kein Zeichen von Schwäche ist. Wie meinte schon Coco Chanel: Gute Manieren sind wie ein perfekter Anzug – sie kommen nie aus der Mode. Und wer wollte dieser Ikone schon widersprechen?

von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin

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