Schwierige Werke: der Auftritt der „Südtirol Filarmonica“.
Außensicht
Salurner Anabolika: Muskelschwund
Aus ff 44 vom Donnerstag, den 31. Oktober 2024
Zu den vielen Orten, an denen man mich freiwillig niemals antreffen würde, zählt das Fitnessstudio. Wenn ich unbezahlt Gewichte heben will, warte ich lieber, bis der nächste Freund einen Umzug plant.
Wie wenig man im Gym tatsächlich lernen kann, bewies diese Woche Manuel P. Der Salurner Fitnesscoach war dabei erwischt worden, wie er seinem Umfeld illegal Anabolika vermittelte. Leider bekamen mindestens zwei der „Schützlinge“ Leberkrebs, weil mit den Muskeln auch die Tumore wuchsen. 22 Tage saß P. im Gefängnis – genug Zeit für Einsicht? Eher nein. Diese Woche gab er der Zett ein Interview, in dem von Reue wenig zu hören war.
Bestellungen habe er nur „aus Gefälligkeitsgründen weitergeleitet“, sagt P. da, und dass er im Nachhinein „das wahre Gesicht mancher Leute kennengelernt“ habe. Wie steht er zu den medizinischen Luftpumpen? Och, machen alle. „Gesund ist es nie, aber man kann es mit Bedacht konsumieren.“ Ein Genuss-Spritzchen nach Feierabend, wenn die Last der Hanteln besonders drückt. Wuchern dann die Krebszellen, sind natürlich die Kunden schuld: „Leider gibt es Leute, die meinen, etwas einzuwerfen und in zwei Monaten auszusehen wie Arnold Schwarzenegger“, sagt P., der in jedem Foto aussieht wie der Terminator. Ja, woher haben sie das nur, die Leute?
Im Mai 2022 sprach P. schon einmal mit Athesia-Redakteuren, damals für ein anbiederndes Porträt. Nach Anabolika wurde der 24-Jährige nicht gefragt („Disziplin, Fokus und hundertprozentige Überzeugung sind der Schlüssel“, haha) – stattdessen durfte er ausführlich Werbung machen für ein selbst entwickeltes „Wunderpulver“ in Dosenform.
Hoppala! Gern hätte man nun in der Zett etwas über die eigene Blindheit gelesen, aber leider auch hier: von Reue keine Spur, Vergessen ist Blattlinie. Man druckt die „Miss-Südtirol“-Wahlen und dann einfühlsame Reportagen über Essstörungen. Die Sportwagen und die Klimawarnungen. Die Pulverwerbung und die Tränen danach.
Schade drum: Auch Einsicht ist ein Muskel. Und er verkümmert, wenn man ihn nicht trainiert.
von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg
Weitere Artikel
-
-
Leger und feminin
Weekend Max Mara unter den Bozner Lauben offiziell eröffnet – ein Mix aus Mode und Genuss.
-
Das Drama der Euregio
Theater – „EuregioDramaLab“: (gm) Das „EuregioDramaLab“ ist eine Möglichkeit für Dramatikerinnen und Dramtiker, ihre ...
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.