Außensicht

Sternchen und Atempausen: Spielplatzgespräche

Aus ff 45 vom Donnerstag, den 07. November 2024

Neulich am Spielplatz: Zwei Kinder spielen Verbrecherjagd, ein Bub und ein Mädchen, beide im Kindergartenalter. Während sie nebeneinander herrennen, ruft der Bub: „Ich bin der Polizist und du bist die Diebin.“ Da war ich kurz baff. Hat der Dreikäsehoch wirklich „DiebIN“ gesagt? Die weibliche Form, ganz selbstverständlich? Da konnte ich mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen.

Eigentlich – und ich weiß, dass ich damit viele Frauen­rechtlerinnen vor den Kopf stoße – halte ich nicht viel vom Gendern. Weder in der geschriebenen noch in der gesprochenen Sprache. Das heißt nicht, dass ich nicht sehe, nicht weiß oder nicht selbst spüre, wo wir Frauen im Alltag benachteiligt sind oder wie ungerecht es immer noch zugeht. Auch ich wehre mich dagegen.

Aber ich glaube, dass wir unsere Kraft an anderen, viel entscheidenderen Fronten einsetzen sollten. Sternchen, Doppelpunkte und Atempausen ändern wenig an den realen Problemen, mit denen Frauen täglich konfrontiert sind. Stattdessen sollten wir unseren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst einnehmen. Es geht darum, sichtbar zu sein, unsere Rechte konsequent einzufordern und vor allem unser Leben zu gestalten, wie wir es uns vorstellen. Denn echte Gleichberechtigung entsteht nicht durch Wortkonstrukte, sondern durch unser Handeln.

Und wenn wir das schaffen, wird die Sprache sich von selbst anpassen, weil es ganz natürlich wird, Frauen genauso sichtbar und präsent zu machen wie Männer. Eine Sprache, die beide Geschlechter gleichermaßen würdigt, wird wachsen, wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt – nicht durch Sprachverrenkungen, sondern durch gelebte Gleichberechtigung. Auch wenn es bis dahin noch dauert, hoffe und glaube ich, dass es passieren wird.

Während ich so vor mich hin grüble, höre ich die beiden Kinder wieder. Anscheinend haben sie ihre Rollen getauscht. „Gut“, sagt der Bub, „dann bin halt ich der Dieb und du die Polizistin. Aber du wirst mich nicht fangen!“, ruft er – und flitzt schon los.

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin beim Südtirol Journal und freie Journalistin

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