Außensicht

„Make Tourists Pay“: Der falsche Ansatz

Stellen Sie sich vor, Sie leiten einen Kindergarten. Jeden Tag hüpfen ein paar Dutzend Stopsel durch Ihr Haus und jeden Tag müssen Sie nachsitzen, weil die Eltern es nicht schaffen, ihre Kinder pünktlich abzuholen. Was tun Sie? Eine Strafe einführen natürlich, ein paar Euro, die sich jeder leisten kann, und eine Botschaft: „Wenn wir leiden müssen, dann auch eure Brieftasche.“ Kindergärten in Israel, die diese Strafen einführten, standen jedoch bald vor einem neuen Problem: Die Zahl der Eltern, die ihre Kinder zu spät abholten, verdoppelte sich. Sie sahen die paar Schekel nämlich nicht als Strafe, sondern als neuen Service – und bezahlten gerne für das Recht auf Unpünktlichkeit.

Verhaltensökonomen machten den Fall berühmt, er ist ein Lehrstück dafür, dass Anreize nicht immer bessere Menschen erziehen, sondern oft die falschen anlocken. Ich musste daran denken, als ich von der Initiative „Make ­Tourists Pay“ las, die eine Zwei-Euro-Gebühr für Südtirol-Urlauber fordert – um damit ein Gratis-Ticket für Einheimische zu finanzieren. Eine schlechte Idee, aus mehreren Gründen: weil Gratis-Öffis erstens keine Frage von fehlenden Einnahmen sind, sondern von politischem Willen. Und weil „Die können es sich eh leisten“ immer schon ein falscher Anreiz war. Wenn in Südtirol von Qualitätstourismus gesprochen wurde, waren nie Familien gemeint, die mit selbst geschmierten Broten durch den Wald spazieren – sondern jene mit der dicksten Brieftasche. Die Folge: Man kann seinen Freunden heute nur noch mit schlechtem Gewissen einen Südtirol-Urlaub empfehlen, weil er unleistbar geworden ist. Und nun soll er noch teurer werden?

Die Wahrheit ist: Wer auf Luxus-Touristen wütend ist, weil sie das Land verstopfen, zürnt auch gegen Wasser, wenn es ein Dorf überschwemmt. Es kann nichts dafür, es fließt, wo keine Dämme stehen. Eine Fünf-Sterne-Suite, ein Adults-Only-Spa-Bereich, das sind nicht einfach nur Bauten: Es sind Pull-Faktoren für eine bestimmte Art Touristen. Man kann sie zur Kasse bitten, klar, doch gelöst ist damit nichts: Diese Menschen können sich Südtirol leisten. Die Frage ist, ob sich Südtirol diese Menschen leisten kann.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

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