Außensicht

Geschichte im Gesicht: Freitagsschmerz

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 06. März 2025

Können Sie sich erinnern, wo Sie waren, als ein Flugzeug ins World Trade Center krachte? Können Sie sich erinnern, wo Sie waren, als die Mauer fiel? Können Sie sich erinnern, wo Sie am Freitagabend waren? Als Selenskyj und Trump nebeneinander im Oval Office saßen. Wird dieser Freitagabend zu einem jener Momente, die sich ins Gedächtnis brennen? Man weiß es nicht. Die kommenden Tage, Wochen werden es zeigen. Aber eines ist sicher: Selten hat mich ein Gesicht so getroffen wie an diesem Abend. Das Gesicht von Wolodymyr Selenskyj.

Ein Gesicht, das zwischen Unglauben und Zorn schwankt. Ein Gesicht, das spricht, auch wenn es schweigt. Während neben ihm ein Mann mit orangefarbenem Teint und aufgeplustertem Ego gestikuliert, hält Selenskyj sich an sich selbst fest. Die Arme umklammern den Körper, als wolle er sich schützen. Seine Augen flackern, sein Blick senkt sich, hebt sich, sucht nach etwas, das er trotz allem auch an diesem Abend sucht: einem Funken Hoffnung.

Ich spüre ein dumpfes Stechen in der Magengegend. Jedes Mal, wenn er den Blick zu Boden richtet. Jedes Mal, wenn er ihn gen Himmel hebt. Was denkt er in diesem Moment? Was fühlt ein Mann, der seit drei Jahren einen Krieg führt, der weiß, dass Tausende seiner Landsleute gerade jetzt kämpfen, während er mit jemandem verhandelt, der mit Kriegen dealt wie mit Immobilien?

Sein Gesicht ist eine Landkarte der Erschöpfung. Jeder Faltenzug ein Graben. Jeder Schatten eine verlorene Nacht. Auch er hat Fehler gemacht, sicher. Doch während andere im Raum mit ihrer eigenen Wichtigkeit jonglieren, trägt er das Gewicht eines ganzen Landes auf seinen Schultern. Ein Land, das hofft. Ein Land, das leidet. Ein Land, das ihm vertraut.

Und wir? Wir sitzen vor den Bildschirmen und schauen zu. Spüren diesen Stich im Herzen, der nichts anderes ist als das Echo eines Krieges, der weit weg scheint und doch so nah ist. Dieser Freitagabend hat wehgetan. Im Kopf. Im Bauch. In der Seele eines jeden Menschen, der Gerechtigkeit fühlt.

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin bei Rai Südtirol und freie Journalistin

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