In Bozen regiert jetzt Mitte-rechts. Das gab es noch nie. Wie konnte es so weit kommen?
Außensicht
Amtsübergabe in Meran: Der erzwungene Eklat
Aus ff 21 vom Donnerstag, den 22. Mai 2025
Was die einen sehen: Da will ein Ex-Bürgermeister seiner Nachfolgerin die fascia tricolore überstreifen, sie wehrt zunächst ab, blickt ihn genervt an, lässt sich die Schärpe dann widerwillig umhängen, nur um sie sogleich wieder abzulegen. Er schaut missbilligend, scheinbar zu Recht, denn: was für eine Schmähung! Ist sie nicht auch die Bürgermeisterin der italienischen Sprachgruppe?
Was die anderen sehen, vor allem Frauen: Da will ein Mann einer jungen Frau, der er seit Wochen untergriffige Unterstellungen gemacht hat, die fascia tricolore umhängen, als wäre sie gerade Miss Riccione geworden: von oben herab, wie ein Preisrichter. Sie weiß, dass sie sie nicht tragen muss, doch er sagt: Devi metterla. Devi metterla però. Mindestens drei Mal, obwohl es nicht stimmt. Sie wehrt ab, vielleicht will sie sie nur entgegennehmen, vielleicht will sie sich die Schärpe selbst überstreifen; vermutlich wäre es gar kein Thema, wäre der Übergeber ein anderer.
Aber in diesem Moment geht es nicht um die Trikolore, sondern darum, dass er die Kontrolle über die Situation übernehmen will, über einen Moment, der eigentlich der ihre ist. Natürlich hätte sie die Schärpe etwas länger tragen können und alle wären zufrieden gewesen, aber in diesem Augenblick ist es vorbei mit der Gelassenheit, die sie bisher für seine Provokationen aufgebracht hat: Jetzt reicht’s, sagt ihr Blick. Er hingegen kann triumphieren: Jetzt hat sie einen Fehler gemacht. Die Ablehnung seines Verhaltens muss in Ablehnung der Trikolore umgedeutet werden. Durch seine Mimik, durch seine Kommentare. Schaut sie euch an, eure sindaca: so respektlos. Der Moment ist kaputt, der Shitstorm beginnt. Mission erfüllt.
Ob Katharina Zeller die Bürgermeisterin beider Sprachgruppen ist, muss sie durch ihre Taten beweisen – das lässt sich nicht daran bemessen, wie lang sie ein grün-weiß-rotes Band um den Körper trug. Was sich hingegen sehr wohl anhand dieser Episode beziehungsweise der unglaublich überzogenen und uninformierten Reaktionen darauf feststellen lässt, ist, wie fragil unser Zusammenleben immer noch ist. Und wie wenig es braucht, um Gräben aufzumachen.
von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin
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