Außensicht

Matura: Elf, fertig, los?

Aus ff 28 vom Donnerstag, den 10. Juli 2025

Elf Jahre alt. In einem Alter, in dem die meisten noch beim Einhornreiten träumen „Was wäre wenn…“, hat sie es schon hinter sich: das Abitur, also unsere Matura. Die jüngste Abiturientin Deutschlands hat’s einfach durchgezogen. Klassen übersprungen wie andere Rechenaufgaben. Ständig neue Mitschüler, immer viel älter, immer ein Stück weiter – und sie? Langweilte sich. Schon nach der Einschulung ging’s los: vier Klassen auf einen Rutsch. Irgendwann haben es dann auch die Erwachsenen geschnallt: Dieses Kind ist nicht nur schnell – es ist besonders.

Und jetzt? Lässt sie’s ruhig angehen, sagt sie. Keine Eile mit dem Studium. Man müsse nicht gleich alles überstürzen. Hat mit elf noch ihr Leben vor sich. In der Zwischenzeit belegt sie ein paar Kurse in Volkswirtschaftslehre. Klar.

Aber mal ehrlich: Muss das sein? Hochbegabung gehört gefördert, logisch. Intelligenz ist kein Verbrechen. Aber Bildung ist mehr als Tempo. Es geht nicht nur um das Wie-viele-Seiten-kannst-du-dir-morgen-merken, sondern auch um das Wer-bist-du-in-der-Pause, wenn niemand kontrolliert, ob du dich gut benimmst.

Denn Schulzeit – so sehr man sie manchmal verflucht – ist eben nicht nur Rechnen, Schreiben, Lernen. Sie ist Gruppendynamik, beste Freunde forever, Drama, erste Lieben, peinliche Referate. Sie ist die Zeit, in der man merkt, dass nicht jede Lehrerin gerecht ist, nicht jedes System funktioniert und nicht jeder Junge, der gut aussieht, auch gut küsst. Sie ist die Zeit, in der man sich behauptet, blamiert – und am Ende trotzdem irgendwie dazugehört.

Ich habe nach der Matura ein Jahr Pause gemacht, ungeplant. Irgendwo am anderen Ende der Welt bin ich durchs Land getuckert. In einem klapprigen Auto, mit schlechter Musik, zu viel Gepäck und Fragezeichen im Kopf. Während viele meinten, anfangs auch ich selbst, ich würde Zeit vergeuden, habe ich genau dort verstanden, was Zeit überhaupt ist. Und was man alles lernen kann, wenn man mal nicht alles sofort wissen muss und einem Ziel nachhetzt.

Wer mit elf das Abi macht, wird zweifellos klug sein. Aber Lebenserfahrung kann man nicht überspringen. Die muss man absitzen – wie eine Schulstunde.

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin und Journalistin

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