Bild der Woche in ff 44/25
Außensicht
Zusammenleben: Tscheksch?
Vor vielen Jahren klopfte immer mal wieder ein Wanderhändler bei meinen Eltern an. Von außen ein typischer Vertreter seiner Berufssparte (dunkelhäutig, behangen mit Firlefanz und Unmengen an Textilien wie ein wandelnder Wäscheständer), gab’s große Augen, sobald er den Mund aufmachte: „Griaste“, sprudelte es da lupenrein Puschtrisch daher, „meggis Sockn, Hangalan odder Tangalan fia die Gitschn?“
Nein, die Gitschn brauchten keine Tangalan, aber in Erinnerung ist er, der sich selbst stets stolz mit „I bin do Puschtra Marocchino“ vorstellte, bis heute.
Ich besinne mich insbesondere an ihn, wenn wieder einmal Leute italienischer Muttersprache monieren, dass das Zusammenleben der Sprachgruppen auch deshalb nicht so wirklich klappe in Südtirol, weil die Deutschsprachigen immer „bloß“ Dialekt sprächen. Da habe man jahrelang die Sprache der Dichter und Denker studiert, könne den Akkusativ blind vom Dativ unterscheiden, und doch ist alles umsonst, weil die Eingeborenen in diesem merkwürdigen Kauderwelsch, dieser Geheimsprache aus harten Lauten und viel „isch“ und „osch“ kommunizierten.
Ich weiß nicht, ob der Puschtra Marocchino mit Goethe vertraut war oder eine Vorstellung vom Akkusativ hatte, aber falls nein, hat ihn das nicht davon abgehalten, den Dialekt zu erlernen. Für nicht wenige mutmaßlich höher gebildete Menschen ist dies offenbar ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei müsste ihnen ja nicht einmal das „Tangale“ flüssig über die Lippen kommen; es genügte schon, die Basics zu verstehen.
Gleichermaßen geht eine Rüge an die Deutschsprachigen in Südtirol raus, die den Dialekt verwenden, wo er nicht angebracht ist: Wenn Funktionäre oder Politikerinnen in der Tagesschau oder bei offiziellen Anlässen drauflos schnattern, als säßen sie daheim am Küchentisch, wird mir nicht warm, sondern cringe ums Herz. Und da habe ich dann durchaus Verständnis für jene, die uns mangelnde Sprachkompetenz und Gleichgültigkeit unterstellen, wenn wir uns in öffentlichen Settings nicht um die Angemessenheit scheren. Wo ein Wille, da Verständnis.
von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin
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