Außensicht

Theologie im Unterricht: Göttliche Komödie

In der Gemeinde Wörgl in Tirol spielt zurzeit ein seltsames Theater. Eine Mittelschule, so Tiroler Tageszeitung, hat festgestellt, dass in ihren Klassenzimmern keine Kreuze mehr hängen. Sie sind nicht mehr da, teilweise schon seit Jahren, und niemand weiß, warum. Vielleicht haben sie aus eigener Kraft die Himmelfahrt angetreten, vielleicht riskierte ein besonders laizistischer Lehrer den Bildersturm. Sicher ist nur, dass eine derart gottlose Klasse gegen das Gesetz und die Verträge mit dem Vatikan verstößt. Also hat die Schule den Gekreuzigten auf Papier ausgedruckt und an die Wand geklebt. Die Kirche war beruhigt – und die Mittelschüler huldigen übergangsweise einem Din-A4-Jesus.
Die Wörgler Lehrpersonen haben sich bis jetzt nicht zu dem Schauspiel geäußert, und zu dem Pappkameraden, der über ihren Unterricht wacht. Aber vermutlich wird es ihnen ähnlich gehen wie Südtirols Medizinstudenten. Auch die müssen den Herrgott über sich richten lassen: Dank einer Zusammenarbeit des Landes mit einer katholischen Mailänder Privatuni lernen die fleißigen Jungärztinnen und Jungärzte neben dem hippokratischen den katholischen Eid, 36 Stunden Theologie sind Pflicht.
Zwar kann man sich praktische Anwendungen durchaus vorstellen. Irgendjemand muss die Blinden und Lahmen ja heilen und auch die Auferweckung der Toten könnte ein Alleinstellungsmerkmal der Claudiana werden: Lazarus igitur, singt die Bozner Studentin, und ist nicht alles immer noch besser als Homöopathie? Nein, denn vor Nebenwirkungen ist zu warnen, sie reichen von akuter Zeitverschwendung bis zu chronischer PR gegen Abtreibung und künstlicher Befruchtung.
Gesundheitslandesrat Hubert Messner, dem die Katholikenshow selbst nicht ganz geheuer ist, tröstet sich mit folgendem Gedanken: „Man sagt sehr vieles, aber im Hintergrund ist vieles anders.“ Das mag für die Claudiana stimmen und auch für die Wörgler Mittelschule. Aber ist es nicht umso trauriger? Eine ganze Welt spielt Theater, damit ein paar weißhaarige Würdenträger nicht in ihren Gefühlen verletzt werden. Das ist kein Studium. Das ist Seelsorge für Rentner.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des
Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.