Der Naturbahnrodler isst am liebsten die Zwetschgenknödel von seiner Mama und mag den Geruchvon Zirbenholz.
Flaneid
Die Gleichheit der Gleicheren
Aus ff 08 vom Donnerstag, den 25. Februar 2021
Die Gerechtigkeit und ihre Prioritäten: Die Flaneider Dorfspitze diskutierte, wer wann aufsperren und wer wie rein durfte.
So kennt mich keiner.“ Im Fasching wäre das ein OK zum Ausgehen gewesen, aber jetzt? Bürgermeister Daniel Grüner stand vor dem Badezimmerspiegel und zupfte seine Maske zurecht. Je besser sie saß, desto schlechter war es. Es war Lockdown, aber er wollte wieder einmal im Dorf nach dem Rechten sehen. Er legte sich die Bürgermeisterkette um. So würden sie ihn erkennen.
Würdevoll schritt er über den Hauptplatz, aber da war niemand, nur Gemeindepolizist Ernst Putz, der meldete, dass es nichts zu melden gab. Dann traf er noch Gemeindearzt Kaspar Hertz, der abgeschlagen wirkte. Grüner kramte sein bestes Wissen aus dem Fernsehen heraus, um mit dem Arzt ein Fachgespräch über die Sensitivität der PCR-Tests und die Inzidenz der Fälle zu führen. Angesichts der inkrementellen Infektionskurve kamen sie zum Schluss, dass die Lage exkrementell war, also beschissen.
„Der Bürgermeister steht auf dem Platz“, meldete Sozialassessorin Milli Minder und zog den Vorhang wieder zu. Sie saß mit Olga Klotz, der regierenden Vizebürgermeisterin, im Gasthaus Unterganzner, dessen Hintertür während des Lockdowns für die Dorfgewaltigen offen war. „Er hat die Bürgermeisterkette an.“ Klotz’ Gesicht wurde zum Fragezeichen.
Schützenhauptmann Karl Treffer wusste es: „Wahrscheinlich will er zeigen, dass er systemrelevant ist, damit er den ersten Schuss kriegt.“ Die Impfprioritäten waren auch in Flaneid ein heißes Thema. Den Politikern wurde beides vorgeworfen: sich vorzudrängeln oder sich zu drücken. „Sind alle die gleichen!“, löste Bauernobmann Emil Harasser den Widerspruch auf. Klotz, größer und stärker als alle anderen im Lokal, stand von ihrem Platz auf – und damit war die Frage erledigt.
Und dann gab es noch die Frage der Gerechtigkeit unter dem gemeinen Volk. Wer sollte zuerst drankommen? Und was konnte man für Geimpfte aufsperren? Als Sozialassessorin war Minder strikt dagegen. Klotz sah die Sache praktischer: „So könnten wieder ein paar Betriebe aufsperren.“ Sie wusste, dass die Gemeinde nicht die nötige Befugnis dazu hatte. Es könnte höchstens der Bürgermeister ein paar Extra-Verschärfungen einführen und diese dann für die Geimpften zurücknehmen. Aber die Leute würden bald merken, dass das keine wahre Erleichterung war. Also tat sie so, als könnte sie: „Wir könnten inzwischen anfangen, laut darüber nachzudenken, wie wir das anstellen würden.“ Als erstes wurde die Prioritätenfrage beim Impfen nicht gelöst, da Bauern vor Handwerkern, Lehrer vor Bauern und Handwerker vor Lehrern drankommen mussten. „Zuerst werden halt die Systemrelevanten drangenommen“, mutmaßte Kaufleuteobmann Helmuth Kramer, was als Grundsatz angenommen wurde, da es eh nichts genaues besagte.
Dann ging es um die Umsetzung: Wie war der Impfnachweis zu erbringen? Eine App schied aus, da unzuverlässig und für Risikopatienten über 80 nicht appetitlich. „Ich mach’ euch ein Abzeichen“, bot Schmied Heini Eisendle an.
Es waren zwei übereinandergelegte Dreiecke mit insgesamt sechs Zacken. „Ich finde es gut, dass sie jetzt wieder diesen Stern tragen müssen“, sagte Viktor Tonner, Kriegsveteran. „Sei still Viktor!“, sagten mehrere.
Die Sache war entschieden. Jetzt ging es nur mehr darum, wer zuerst zum Abzeichen kam. Klotz fiel auf, dass Hauptmann Treffer, Feuerwehrkommandant Florian Lösch, Musikobmann Blasius Stabser und Forstbeamter Ewald Siebenförcher alle in Uniform gekommen waren, um ihre Systemrelevanz zu demonstrieren. „Und du, hast du nichts anzuziehen?“, fragte Lösch spöttisch. „Nein, aber ein Zeichen hab’ ich“, sagte Klotz und holte ein Nudelholz aus ihrer Handtasche. Wirt Coelestin Unterganzner rannte zur Toilette, um den Erste-Hilfe-Koffer zu holen.
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