Flaneid

Der Sieg gegen den Drachen

Aus ff 14 vom Donnerstag, den 08. April 2021

Die Tage bis zur Öffnung wurden immer länger. Manche gingen nach innen und blieben drin. Andere nutzten die Zeit, um höhere Ziele anzustreben.

Gegen Drachen kämpfen! Ernst Putz stand allein auf dem Hauptplatz und sah gebannt nach oben. Noch nie hatte ein Gemeinde-polizist eine so schwere und zugleich legendäre Aufgabe vor sich. Er würde entweder zugrunde oder in die Annalen eingehen. Oder beides. Er würde jedenfalls tun, was getan werden musste. Sicher, auch im Mittelalter hatten sie es mit Pandemien zu tun und mit gepanzerten Touristen auf Kreuzfahrt, aber er hatte kein Ross und kein Schwert und keinen Schildknappen. Er war der ranghöchste, aber auch der einzige Polizist im Dorf. Außerdem standen ein paar bürokratische Auflagen zwischen ihm und dem Feind, die es früher nicht gegeben hatte. So durfte er wahrscheinlich nicht im Blut des Drachen baden, um unverwundbar zu werden.

Der Drachenflieger war von der Tafelspitz’, dem Flaneider Hausberg, gestartet, so viel war sicher. Aber er war dann weit nach rechts abgekommen, über mindestens eine Gemeindegrenze hinweg. Es war eindeutig Individualsport und so gesehen erlaubt. Die Maske musste er während des Flugs nicht anhaben, aber irgendwo musste er auch landen. Und wenn das bewohntes Gebiet war?

„Der Putz ist wieder auf dem Platz“, meldete Sozialassessorin Milli Minder und zog den Vorhang wieder zu. Nicht dass die verschworene Gesellschaft im an sich geschlossenen Gasthaus Unterganzner den Gemeindepolizisten als besonders große Gefahr einstufte, doch man konnte ja nie wissen. „Aber er schaut dauernd nach oben“, gab Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, Entwarnung.

Vom Gemeindeausschuss wurde erwartet, dass er auch in Krisenzeiten regierte, aber das war schwierig bei geschlossenen Vorhängen und Türen, wenn die Bürger nicht mit ihren Anliegen kommen durften. Irgendetwas musste trotzdem getan werden. „Die Schrift!“, bestellte Klotz. „Ihr wisst schon, dass beim Kartenspielen die Viren übertragen werden?“, fragte Coelestin Unterganzner, der Wirt. „Nur die Schrift, keine Karten“, präzisierte Klotz, und daraufhin brachte Unterganzner einen Kugelschreiber und ein Durst-Blöckl von der gleichnamigen Flaneider Brauerei.

„Hast du schon einmal einen Bauleitplan gemacht?“, fragte Klotz und schob Minder die Schreibutensilien zu. „Direkt nicht“, antwortete Minder, „aber ich kann’s ja mal versuchen.“ „Könnten wir da auch die Feng-Shui-Regeln berücksichtigen?“, erkundigte sich Kulturassessorin Klara Teutsch, „da könnte Flaneid eine Vorreiterrolle einnehmen.“ „Wie viele Häuser würden dann noch stehen?“, fragte Klotz.

Die Arbeiten am Bauleitplan wurden jäh unterbrochen, als Pfarrer Elmar Kaslatter durch den Hintereingang torkelte. Er war fertig. Er hatte sich in seiner Osterpredigt so angestrengt, die Gläubigen zu beschwören, nun auch an die Wissenschaft zu glauben.

Auch die Kirche hatte in Zeiten der Seuche den Auftrag, gegen Fake News anzukämpfen, und das war schwer. Jahrhundertelang hatte man den Leuten Weisheiten vor die Füße geworfen, die einfach zu glauben und ja nicht anzuzweifeln waren. Und jetzt? Vor Galileo niederknien und wie die Merkel um Verzeihung bitten? Auch das ging. Was den Pfarrer aber fertig gemacht hatte, war die Frage von Obstbauer Toni Steiger nach der Messe: „Und, kannst du das auch beweisen, das mit der Wandlung und der Auferstehung und so?“ Im Mittelalter hatte es solche Fragen nicht gegeben.

Ernst Putz ging gebeugt über den Hauptplatz, den erlegten Drachen im Schlepptau. Es waren zwar nur die Haut und das Gerippe, denn der Straftäter selbst war abgestürzt oder geflüchtet. Egal. Aber im Dorfmuseum würde daneben auf einer Tafel stehen, wer ihn besiegt hatte. „Der Putz ist wieder auf dem Platz, aber er ist schwer beschäftigt“, gab Minder wieder Entwarnung.

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