Flaneid

Der geteilte Piefke

Aus ff 20 vom Donnerstag, den 20. Mai 2021

Für einen guten Saisonstart einigten sich die Flaneider Gastwirte auf mutige Investitionen. Und fanden dafür einen Geldgeber.

Er saß da in seinem Cabrio mitten auf dem Dorfplatz und schaute sich um. Und er wurde angeschaut. Vor dem Gasthaus Unterganzner standen Einheimische und fragten sich, was der da wollte. „Ein Piefke?“, formulierte Bauernobmann Emil Harasser eine Hypothese. Coelestin Unterganzner, der Wirt, bekam glasige Augen, Herta Zemmer, Frühstückspension mit Aussicht auf den Flaneider See, setzte ein freundliches Gesicht auf. Das war vielleicht der Beginn der Sommersaison, ein Zeichen des Himmels, der sinkenden Fallzahlen und der offenen Grenzen! „Wir müssen ihm entgegengehen!“, sagte Unterganzner. Aber einer war schneller: Ernst Putz, einziger und ranghöchster Gemeindepolizist von Flaneid, startete Richtung Cabrio. Unterganzner versuchte vergebens, ihn aufzuhalten. Jetzt war die Saison im Arsch, und das nur wegen ein bisschen Falschparken.

Es geschah das Unerwartete: Putz salutierte vor dem Fremden: „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ -Unterganzner nahm sich vor, Putz für die Ehrennadel des Gastwirteverbands vorzuschlagen.

„Wo haben Sie reserviert?“, fragte Putz. „Nirgends“, antwortete der Deutsche, „ich bin einfach mal drauflos gefahren, weil ja die Grenze jetzt offen ist …“ Putz kam zum Unterganzner gerannt und meldete: „Er braucht ein Zimmer.“ „Hab’ ich!“, antwortete der Wirt schnell – als Besitzer aller 14 Flaneider Hotels konnte er dies auch glaubhaft behaupten. „Wieso glaubst du, der gehört dir?“, fuhr Herta Zemmer dazwischen, Harasser, Urlaub auf dem Bauernhof, wiederholte die Frage mit einem ernsten Nicken. Und auch Garnis und Privatzimmervermieter meldeten Bedenken an. Unterganzner schickte Putz wieder zum Gast: „Sag’ ihm, wir stellen gerade ein ideales Urlaubspaket für ihn zusammen. Braucht nicht lange.“

„Wir müssen ihn gerecht aufteilen“, betonte Zemmer. „Soll ich ihn euch vierteln?“, witzelte der Metzger Praxmarer. „Ich meinte tageweise“, -präzisierte die Frühstückspensionistin. Unterganzner sah ein, dass er den Deutschen nicht allein kriegen würde und winkte Putz wieder zu sich: „Frag’ ihn, wie lange er bleiben will.“

Sechs Tage waren schon ein Anfang. Und auch, wenn ein altes Gastwirtesprichwort besagte, ein Piefke macht noch keinen Sommer, so war es dennoch ein Funken Hoffnung für die, die stets das große Ganze im Blick hatten: die Saison!

Obwohl Unterganzner bei den Verhandlungen seine ganze Bettenkapazität in die Waagschale legte, bekam er nur zwei Nächtigungen. „Geht es jetzt darum, wer ihn länger ausnehmen darf?“, fragte Harasser spitz. Unterganzner hatte eine andere Idee: „Ein Tagesinkasso wäre nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich schlage vor, er urlaubt hier gratis und erzählt dafür daheim, wie schön es hier ist.“

Die Beherbergungsprofis gaben sich corona-gemäß den Ellenbogen, um die Abmachung zu besiegeln, und schritten dann würdevoll, aber mit freundlichem Gesicht zum ersten Gast des Jahres: „Willkommen in Flaneid. Sie sind unser Gast.“ Unterganzner erklärte ihm das neue Beherbergungskonzept. „Die Transfers von einem Hotel zum anderen organisieren wir, Sie brauchen sich um nichts zu kümmern.“

Im Laufe der Woche wurde der Gast des öfteren gemeinsam mit Gemeindearzt Kaspar Hertz gesehen, der ebenfalls Deutscher war. Die beiden waren Studienkollegen, wie man erfuhr. Vor der Abreise begleitete Hertz seinen Freund zu Unterganzners Rezeption. „Deine Hotelrechnung übernehme ich“, sagte Hertz, „schließlich hättest du ja bei mir wohnen können.“ „Kaspar, das brauchst du nicht.“ Das klang nach höflicher Abwehr, war aber als Erklärung gemeint. Hertz verabschiedete ihn und ging dann allein in die Rezeption: „Wie viel?“ „60 Euro“, schoss Harasser, Zemmer berechnete 75, Unterganzner 80 pro Nacht.

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