Meran und die Umgebung der Passerstadt sind reich an Schlössern und Burgen. Von Weitem sichtbar ist Schloss Schenna, es trohnt oberhalb des ...
Flaneid
Drei in der Zelle
Aus ff 22 vom Donnerstag, den 03. Juni 2021
Krise war gestern. Eine Erleichterung folgte der anderen. Der Bürgermeister machte sogar das Telefonieren billiger.
Heut’ mach’ ich alles auf!“, versprach Bürgermeister Daniel Grüner seinem Badezimmerspiegel. Er würde feierlich durchs Dorf spazieren und so seinen Bürgern zu erkennen geben, dass die Gefahr vorbei war. Er hatte sich zwar für den einen oder anderen Auftritt, für den es den Bürgermeister brauchte, schon im Dorf sehen lassen, aber meistens war er daheimgeblieben – auch das eine Botschaft an die Bürger.
Nun aber war Flaneid sauber, das tägliche Corona-Thermometer meldete seit Wochen keinen Infizierten mehr, niemand war in Quarantäne. Es war Zeit, wieder zu öffnen, wieder Leben zuzulassen. Er würde auch das Gasthaus Unterganzner aufsperren, den beliebten Treffpunkt der Flaneider. Mit einer SMS hatte er dem Wirt bereits den entsprechenden Erlass angekündigt. Er würde auch die Schulen öffnen und den Strand und die Friseursalons und … Moment! Waren das nicht die Öffnungen, die der Staat und das Land bereits beschlossen hatten? Was konnte er als Bürgermeister dann noch öffnen? Im Zweifel öffnete er den Kühlschrank und suchte nach einem Bier. Da war keins. Also ging er wieder zum Spiegel, auf der Suche nach großen Worten.
„Spinnt der?“, fragte Coelestin Unterganzner, als er die SMS gelesen hatte, „das werd’ schon noch ich bestimmen, ob ich aufsperre! Ist ja keine Pflicht!“ „Da sind wir voll bei dir“, sagte Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin. Auch der Rest des Gemeindeausschusses, der sich seit Langem täglich und ohne Wissen Grüners auf Lokalaugenschein im Unterganzner aufhielt, war gegen die Öffnung, ebenso die Vereinsobleute und die anderen Honoratioren, die während des Lockdowns durch den Hintereingang eingelassen worden waren. Ihr Privileg wäre keins mehr.
„So hab’ ich’s nicht gemeint“, beeilte sich der Wirt zu präzisieren, „ich mein’ nur, dass ich selber entscheide.“ „Und, was entscheidest du?“, fragte Sozialassessorin Milli Minder bang. „Ist doch logisch!“, antwortete Unterganzner, „die Deutschen kommen, die Saison geht los, die Leute haben Durst – wieso sollte ich nicht aufsperren?“ „Ja, soll jetzt jeder Dahergelaufene hereindürfen, auch der Bürgermeister?“, fragte Kulturassessorin Klara Teutsch.
Er kam, sah und überlegte. Nach Wochen der Vorsicht betrat Bürgermeister Daniel Grüner wieder das Gasthaus Unterganzner und war baff, den ganzen Gemeindeausschuss, die Vereinsobleute und alles, was sonst noch wichtig war, bereits im Gasthaus zu sehen: „Was tut ihr da?“
„Äh, wir haben uns gedacht, dass du als Erstes das Gasthaus wieder öffnen wirst“, sagte Olga Klotz, „und da haben wir dich überraschen wollen.“ Grüner bekam keine Zeit zu überlegen, ob er das glauben sollte. Zuerst wurde er von Schützenhauptmann Karl Treffer überfallen, dann von Feuerwehrkommandant Florian Lösch und Sportpräsident Hermann Treter. Sie alle wollten die Genehmigung für ihr Vereinsfest, das voriges Jahr „aus politischen Gründen“ ausgefallen war, wie sie ihm in Erinnerung riefen. Sie würden auch die Coronaabstände einhalten, die zeitlichen, zwischen dem einen Fest und dem anderen. Das könne er nicht machen, das sei Landesbefugnis, antwortete Grüner und handelte sich ein „Hosenscheißer“ von Treffer ein.
„Darfst du überhaupt irgendetwas?“, fragte Lösch. Grüner musste nachdenken und begab sich dafür ins Klo, wo ein Spiegel war. Dann kam er mit einem leeren Formular für Bürgermeisterverordnungen zurück und füllte es vor aller Augen aus, etwas, das noch nie in Rom oder Bozen verfügt worden war. Demnach durfte man sich ab nun in Flaneid zu dritt in einer Telefonzelle aufhalten.
„Haben wir noch eine Telefonzelle in Flaneid?“, flüsterte Klotz. Finanzassessorin Hedwig Helfer schüttelte den Kopf. „Super Idee, Daniel“, sagte Klotz.
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