Covid-19-Impfbereitschaft
Flaneid
Der Vorteil der Käfighaltung
Aus ff 26 vom Donnerstag, den 01. Juli 2021
Die EM war wichtig, aber noch nicht perfekt, um für den Tourismus brauchbar zu sein. Vizebürgermeisterin Klotz half nach.
Tot. Das Dorf war tot. Olga Klotz, regierende Vizebürgermeisterin von Flaneid, machte, weil nichts im Fernsehen war, einen Abendspaziergang – und sah nichts. Keine Leute auf der Straße und auch keine Gäste. Das war nicht der erwartete Saisonsauftakt nach Corona. Sie wollte einen Fachmann konsultieren und kehrte ins Gasthaus Unterganzner ein.
„Niemand da?“, fragte sie. „Heute schauen alle irgendwo irgendein Fußballspiel“, erklärte Wirt Coelestin Unterganzner die gähnende Leere. „Meinst du nicht, du hättest hier mehr Gäste, wenn du einen Fernseher aufstellen würdest?“, fragte Klotz. „Mein ich schon“, antwortete Unterganzner, „aber das ist eine lange Geschichte.“ Klotz hatte Zeit: „Und wo fängt die an?“ „In der Mongolei. Oder in Afrika.“ Jetzt war sie neugierig geworden. Er bemerkte das und holte ganz weit aus. Nach einer gefühlten Dreiviertelstunde, was einer EM-Halbzeit entsprach, wusste sie, dass es in der Mongolei und in Afrika seltene Erden gab, und die wurden für Chips gebraucht. „Computer-, nicht Kartoffelchips“, betonte er. Der Abbau, die Lieferketten und die Produktion waren durch Corona mal da, mal dort eingebrochen, was zur Folge hatte, dass es ausgerechnet jetzt, wo die EM spannend wurde, so schnell kein größerer Flachbildschirm zu haben war.
Am anderen Ende der Lieferkette war Unterganzner. Er hatte zwar in all seinen Hotels – und er besaß alle Hotels in Flaneid – TV auf dem Zimmer, aber dafür hatten die Gäste bereits bezahlt, und das nutzten sie auch schamlos aus. Wo das Inkasso fehlte, waren seine Schankbetriebe.
Klotz dachte noch einen Schritt weiter, in Richtung öffentliche Sicherheit. Sie hatte in den Nachrichten von Tumulten in Bozen nach dem ersten Sieg der Azzurri gehört und wollte solche Vorfälle in Flaneid unbedingt vermeiden. „Wir müssen unbedingt für organisiertes Public Wiu… äh, halt für Fernseher auf öffentlichen Plätzen sorgen, sonst kommt das Chaos.“
„Jetzt kommt Österreich!“, sagte Schützenhauptmann Karl Treffer beim Betreten des Lokals und kündigte damit das Achtelfinale am Samstag an, das die Schützen zusammen auf dem Platz anschauen wollten. „Du kommst später dran“, sagte Klotz und rief Feuerwehrkommandant Florian Lösch an, um den Ordnungsdienst zu organisieren. „Und du organisierst die Fernsehgeräte“, sagte sie. „Alle schon im Einsatz“, weigerte er sich. „Dann werden sie von der Gemeinde requiriert“, gab sie zurück. Er rechnete zusammen, wie sie ihm kraft ihres Amtes – Bauleitplan, Gewerbeaufsicht und eine starke Rechte – weh tun konnte und gab nach. Die Geräte wurden unter dem Vorwand der Reparatur aus den Gästezimmern entfernt. Lösch hingegen ließ im Hinterhof 10 Quadratmeter mit Maschendrahtzaun versehen und ein Schild anbringen: „Benvenuti tiefosi azuri.“
Klotz nahm Treffer beiseite und erklärte ihm die neuen Spielregeln. Treffer protestierte „Was? Hinter einem Zaun? Drei Meter Abstand? Nur bleifreies Bier?“ „Karl“, erklärte ihm Klotz, „wir müssen alle Sprachgruppen gleich behandeln. Ich erwarte mir Disziplin von euch.“ Und dann zitierte sie noch einen ehemaligen Landesrat, auf den Treffer große Stücke hielt: „Je klarer wir trennen, desto besser werden wir uns verstehen.“ Was sie ihm nicht sagte: Die Schützen würden das Spiel Österreich-Italien nicht im ORF sehen, wo Adi Niederkorn sein „Tor!“ in den Weltraum schrie, sondern im Schweizer, wo es nur technische Erläuterungen statt Emotionen gab.
Die Schlacht war verloren. Südtirol würde nun bei Italien bleiben müssen, denn darum war es beim Spiel eigentlich gegangen, wenn man Treffers Inbrunst ernst nahm. Unterganzner schoss noch nach: „Und wenn Italien auf Deutschland trifft, dann spielen sie um Österreich.“
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