Flaneid

Gesundheit tanken

Aus ff 32 vom Donnerstag, den 12. August 2021

Während sich das Land um die stete Steigerung der Impfrate bemühte, muckte das Volk immer öfter gegen die neuen Regeln auf.

Bauernobmann Emil Harasser fuhr zur neuen Tankstelle, um das E-Auto seines Sohnes aufzuladen. Sein jüngster Sohn war zwar volljährig (und geimpft), zog es jedoch vor, bei größeren Anschaffungen dem Papi den Vortritt zu lassen. Nach dem Einstecken sagte der Automat freundlich: „Zeigen Sie bitte Ihren Grünen Pass innerhalb von 30 Sekunden.“ Harasser kramte sein Handy hervor. „20 Sekunden.“ Er entsperrte es. „10 Sekunden.“ Er navigierte bis zur App, mit der man den QR-Code herzeigen konnte. „Die Zeit ist um. Sie erhalten eine Impfung.“

Die Maschine rumpelte. Harasser sprang noch rechtzeitig zurück und sah, wie eine Spritze hervorschoss. Er beäugte sie neugierig. Sie war trocken. Er hatte bereits gehört, dass das Land in der Testphase nur erproben wollte, ob sie stichfest war. Eigentlich richtig, sagte sich Harasser, bei den bisherigen Impfungen war die Testphase viel zu kurz. In dem Moment ging es ihm nur darum, eine dritte Dosis zu vermeiden, da sie vom Ministerium noch nicht empfohlen worden war. Dieses doppelte Glück – kein Stich und keine Ausgabe fürs Tanken – musste gefeiert werden.

„Coelestin, hast du etwas zu essen für mich?“, fragte Harasser, als er das Gasthaus betrat. Coelestin Unterganzner war wider Erwarten gar nicht glücklich: „Echt?“ „Wieso, was ist?“ „Ich hab’ momentan nur einen Koch, und der ist mit den Touristen ausgelastet.“ „Ja, stell halt noch einen an, du hast ja gewusst, dass die Hochsaison kommt.“ Diese Bauern verstanden rein gar nichts!

Wegen der Lockdowns waren viele vom Personal abgehauen und hatten sich anderweitig einen Job gesucht. Viele waren dann noch in andere Branchen abgewandert, womöglich mit Festanstellung – als ob der Mensch jeden Tag essen müsste! – und Extrawürsten wie freiem Sonntag und Nachtruhe. Unterganzner schüttelte den Kopf über eine solche Arbeitsmoral. Eine Kuh musste jeden Tag gemolken werden. Touristen auch. In normalen Zeiten hätte er für einen abtrünnigen Koch einen anderen von der Konkurrenz abgeworben. Das kostete zwar etwas mehr, aber mit Ruhe fand man doch einen günstigeren. Aber Unterganzner war in einer ungünstigen Monopolsituation: Als Besitzer aller 14 Flaneider Hotels konnte er sich nicht selbst die Köche abwerben. „Irgendwas mach’ ich dir schon“, sagte er schließlich zu Harasser und ging in die Küche.

„Pass auf, Coelestin, hinter dem Budel brauchst du wieder den Grünen Pass“, scherzte Toni -Steiger (Obst- und Weinbauer, 20 ha Grund zum Jammern) über die unterschiedlichen Vorschriften für Tisch und Tresen. Neue Coronaregeln waren immer wieder Anlass, sich das Maul darüber zu zerreißen. Jene, die man nicht verstand, waren unlogisch. Waren sie zu kompliziert, waren sie ein Zeichen mangelnder Transparenz. Den Nachrichten konnte man nicht glauben, weil sie von der Regierung beherrscht wurden, und die Zeitungen logen wie gedruckt. Die Coronakrise hatte einen neuen Souverän geboren, eine neue Form des mündigen Bürgers mit dem Motto: „Alles Idioten, außer ich.“ Nur der Ziggl-Franz verteidigte die neue Budel-Regel mit dem Hinweis, dass man dort den Abstand einhalten müsse; was ihm dank seines Mundgeruchs auch gelang.

Unterganzner ging zu Harassers Tisch und knallte ihm aus der Pfanne eine trockene Omelette auf den Teller: „Etwas Tabasco?“ Harasser verging zuerst der Appetit, dann fand er, sein Jüngster könnte Koch lernen.

Emil Harasser stand diesmal mit seinem eigenen Auto vor der Tankstelle. Diesmal ging es zwar um Benzin, aber man war ja nie sicher. Er wartete, bis sie öffnete und er vom Tankwart bedient wurde. „Hättest auch am Automaten zapfen können“, sagt dieser. „Mit dir fühl’ ich mich sicherer“, antwortete Harasser.

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