Flaneid

Die Personalfrage

Aus ff 35 vom Donnerstag, den 02. September 2021

Weltweite Plagen beutelten zwei Branchen, die seit dem alten Testament zusammengehörten: Obstwirtschaft und Religion.

Es ist narrisch schwierig heutzutage, gutes Personal zu bekommen“, beschwerte sich Bauernobmann Emil Harasser. „Überhaupt Personal zu bekommen“, bestätigte Toni Steiger, ebenfalls Obstbauer, „die Tschechen haben wir zu gut bezahlt, die kommen höchstens noch auf Urlaub zu uns, Polen sind keine zu haben, jetzt sind wir in Bulgarien gelandet.“ Beide waren sich einig, dass die Pandemie die Situation noch verschärft hatte: Die Klauber mussten geimpft oder getestet sein. „Das geht dann immer so weiter, rund um den Erdball“, sagte Harasser, „danach kommen die Russen dran, dann die Chinesen, dann geht’s über den großen Teich, und wenn wir mit den Amerikanern fertig sind, fangen wir bei den Franzosen wieder an.“ „Die Franzosen kenne ich nicht, die waren schon lange nicht mehr da. Die nächsten wären die Schweizer. Glaubst du, die würden bei uns klauben?“ Harasser hob unwissend die Hände. „Scheiß-Globalisierung!“ entfuhr es beiden. Die Welt drehte sich, das war das Hauptproblem.

Pfarrer Elmar Kaslatter betrat das Gasthaus, begleitet vom Wirt Coelestin Unterganzner, der wieder mit dem Klingelbeutel ausgeholfen hatte, um zu Wechselgeld zu kommen. Kaslatter bewegte sich direkt zum Bauerntisch, da er die beiden während der Messe vermisst hatte. Er warf ihnen den Pfarrbrief auf den Tisch: „Da, ihr könntet um eine gute Ernte beten.“ „Was nutzen uns volle Bäume, wenn uns niemand die Äpfel herunterholt?“, erzürnte sich Harasser und wischte den Pfarrbrief von sich. „Und, wie sieht’s bei euch aus, personalmäßig?“, frotzelte Steiger.

Der Pfarrer ließ sich das nicht gefallen und kehrte den beiden den Rücken zu. Sicher, auch die Kirche hatte ihre Schwierigkeiten. Er selber war vor die Wahl gestellt worden, durch einen jüngeren Afrikaner ersetzt zu werden oder zwei, drei Nachbargemeinden mitzunehmen. Er hatte sich für letzteres entschieden. Das Hauptproblem aber blieb, dass das Kirchenvolk dünner geworden war und nicht mehr bedingungslos folgte. So ein Gottesstaat wie in Afghanistan war in christlichen Gegenden nicht vorstellbar, aber er hatte auch seine Reize. Wenigstens die Pflicht zum Messgang könnte man wieder einführen. Damit wäre sicher auch Unterganzner einverstanden gewesen, der im Klingelbeutel nur 5,30 Euro fand: „Wenigstens am Sonntag könntet ihr schon zur Messe gehen“, wandte er sich an das ganze Lokal.

Auch Bürgermeister Daniel Grüner wünschte sich, er könnte seine Bürger manchmal zur Mitarbeit zwingen. Parkplatzbewirtschaftung und Müll-abfuhr wären um vieles einfacher. Nun drohte die Schule wieder zu beginnen, und Lehrerin Hedwig Zehnleser war immer noch nicht geimpft, trotz seiner Überredungskünste. Wenn die Schule in Flaneid zum Infektions-herd wurde, drohte wieder der Fernunterricht mit allen psychischen Belastungen für die -Flaneider Jugend.

„Die lange Bildschirmzeit ohne physischen Kontakt führt zu Ängsten und Depressionen“, stand in der SMS-Nachricht, die er gerade von Oppositionsgemeinderätin Theresia Wiedersacher erhielt. Der Gemeinderat wollte nicht mehr online tagen. Auch das noch. Er zeigte die Botschaft seiner Stellvertreterin Olga Klotz. „Angst finde ich nicht schlecht“, sagte sie und schlug weitere Online-Sitzungen vor „solange die Pandemie um sich greift“.

Pfarrer Kaslatter näherte sich wieder dem Bauern-tisch und warf einen neuen Zettel hin, den Harasser und Steiger diesmal aufmerksam studierten. Es war ein Kursangebot des Obstbau-Beratungsrings für seine Mitglieder: „Selber klauben“. Bei näherem Hinsehen merkten die beiden, dass der Zettel nicht echt war, und sie vermuteten die Handschrift des Pfarrers dahinter. „Dann selber beten auch“, sagten sie und gaben den Zettel zurück.

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