Flaneid

„Hängt den Präsidenten!“

Aus ff 02 vom Donnerstag, den 13. Januar 2022

In diesen Zeiten wurden die Töne des Widerstands immer härter. Aber auch die Befehle des Bürgermeisters.

Das Wichtigste hatte er vergessen! Bürgermeister Daniel Grüner ging beim morgendlichen Kaffee im Gasthaus ­Unterganzner die Aufgaben der letzten Tage durch und hakte eine nach der anderen ab: a, b, c, delta, omikron … Der Haushalt war unter Dach und Fach, ohne dass der Gemeinderat Änderungen vorgenommen hatte. Hätte er mangels Buchhaltungskenntnissen auch nicht können – dafür durfte er jede Menge Resolutionen zur Verbesserung der Welt unter besonderer Berücksichtigung Flaneids verabschieden. Zur Pandemie verblieben dem Bürgermeister nach Staat und Land wenig Eingriffsmöglichkeiten. Als Zeichen seiner staatstragenden Mitarbeit hatte Grüner wenigstens ein paar Feiern und Zusammenkünfte verboten.

Blieb nur noch das. In der Zeitung las er, dass bald ein neuer Staatspräsident gewählt wurde. Die wichtigsten Fragen dabei: War er eher links oder rechts? War er ein Freund Südtirols? Würde er seinen Urlaub in Flaneid verbringen? Und würden die Flaneider Klassenzimmer rechtzeitig ein Foto von ihm bekommen? Grüner ging ins Freie, wo er sich unbeobachtet fühlte, rief sofort die Volksschulleiterin an und musste erfahren, dass in den Klassen kein Bild des Staats­präsidenten hing. Sie wisse nicht, wo es zuletzt gehangen habe und wo es jetzt verblieben sei. „Hängt sofort den Präsidenten auf“, ordnete der Bürgermeister an, „ja, den jetzigen, und nach der Wahl tauscht ihr halt das Foto aus.“ „Und wenn es der Berlusconi wird?“ „Mir wurst, hängt ihn auf!“

Die Schulleiterin kochte. Das halbe Personal war infiziert oder suspendiert. Immer wieder musste eine Klasse in den Fernunterricht, wenn beim Nasenbohren etwas entdeckt wurde. Und der Grüner verlangte, dass man sich zuerst um ein Foto kümmerte. Unterm Jahr kümmerte sich sonst niemand um die Schule, vor allem nicht um die „Schule staatlicher Art“. Solche Zungenbrecher als Namen bekamen Problemzonen immer verpasst, wenn die Politik wollte, dass man sie aus den Augen verlor. Sie verfluchte den Bürgermeister und – weil’s in einem ging – den Staatspräsidenten.

Grüner hängte auf und bemerkte erst dann, dass er mit dem Rücken zu einer Demo der Impfverweigerer gestanden hatte. Um vor einer Diskussion sicher zu sein, ging er wieder ins Unterganzner.

Coelestin Unterganzner kochte. Seine Gäste hatten sich frühzeitig zur Abreise entschieden, weil ihnen in Deutschland daheim Quarantäne drohte. Als wären die Coronaauflagen der italienischen Regierung nicht genug gewesen. Und dann hatte dieser Ministerpräsident, der jetzt Staatspräsident werden wollte, auch noch die Bargeldgrenze herabgesetzt. Auf läppische tausend Euro! Was Unterganzner dem Präsidenten wünschte, wollte er nicht laut sagen, aber: „Bargeld ist Freiheit!“

„Online zahlen ist aber auch nicht übel“, entgegnete Feuerwehrkommandant Florian Lösch. Beim Silvesterrundgang zur Spendensammlung hatten er und die Seinen wegen der AHA-Regeln auf zwischenmenschliche Kontakte verzichten müssen: kein Händedruck, kein Schnäpschen. Stattdessen hatte man die Kontonummer für die Überweisung hinterlegt. Und das hatte geholfen! Während die ­Flaneider sonst immer umständlich in der Brieftasche kramten und darauf achteten, dass noch genügend Bargeld übrigblieb, hatten sie beim Überweisen keine Hemmungen mehr.

Das mochte zwar sein, aber Unterganzner stellte dem Präsidenten auch die fehlenden Gäste in Rechnung, die sich mangels Grünem Pass auch nicht mehr im Außenbereich aufhalten durften.

„Hängt den Präsidenten!“, sagte das frisch beschriebene Schild, mit dem die suspendierte Lehrerin Hedwig Zehnleser nun die Corona-­Demo anführte. „Du, das ist Majestätsbeleidigung!“, warnte sie der Bürgermeister. „Nein, das ist ein Zitat von dir“, antwortete sie.

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