Flaneid

Der Zins des Kaisers

Aus ff 11 vom Donnerstag, den 17. März 2022

Pfarrer und Bürgermeister rückten zusammen, um das Volk für große Ziele zu begeistern. Zum Beispiel für die Erhöhung der Müllgebühren.

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ ­Bürgermeister Daniel Grüner richtete sich in der ersten Sitzbank vor dem Pfarrer auf. Er freute sich, endlich einmal positiv angesprochen zu werden, das übliche „Dorfkaiser“ war hingegen eher negativ besetzt. Er war kein fleißiger Kirchgänger, tendenziell überhaupt gar keiner. Aber in diesen Zeiten ging es darum, die Kirche enger an sich zu binden. Dazu ließ sich das Gemeindeoberhaupt öfters bei der Messe sehen. Und dann gab es da noch ein paar Maßnahmen.

Grüner drehte sich um und musste sehen: Da war außer ihm nur noch Pfarrgemeinderatspräsidentin Rosl Kranz und deren Großnichte, Letztere wahrscheinlich nicht freiwillig. Da musste man nachbessern, aber es war ein Anfang.

Grüner hatte sein Projekt Tage zuvor beim Stammtisch des Gemeindeausschusses im Gasthaus Unterganzner vorgestellt. Das Volk war immer unzufriedener geworden, mit der Politik und allem, was sonst noch heilig war. Daher mussten Politik und Kirche enger zusammenrücken. Er wollte weniger eine mahnende und zweifelnde Kirche, sondern eine mitdenkende und begleitende. Grüner hatte das so auf den Punkt gebracht: „Wenn der Patriarch Kyrill den Ukraine-Feldzug gutheißt, dann wird unser Pfarrer doch wenigstens die neuen Müllgebühren absegnen können!“ Alle im Ausschuss verzogen das Gesicht, nur Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, sprach ihm Mut zu. Wie immer, wenn „ihr“ Bürgermeister vor einem Fettnäpfchen stand.

Zum Abkommen mit dem Pfarrer gehörte, dass dieser die Entscheidungen der Gemeinde verteidigte, während die Gemeinde versuchte, mehr Volk in die Kirche zu bringen. „Dann sag’ ich ihnen von der Kanzel, dass …“, wies Grüner Pfarrer Elmar Kaslatter an. „Du sagst gar nix in der Kirche“, belehrte ihn der Pfarrer, „was du sagen willst, sage schon ich!“ Der Kompromiss bestand darin, dass der Bürgermeister ganz vorne sitzen durfte, für alle sichtbar.

„Und am nächsten Sonntag, liebe Gläubige, erfahrt ihr mehr über die anstehende neue Verkehrsregelung auf der Haspingerstraße“, schloss Kaslatter seine nächste Predigt und zwang somit die ­Flaneider, am nächsten Sonntag wiederzukommen, wenn sie wissen wollten, was die Gemeinde vorhatte. Eine Erpressung, aber für einen guten Zweck.

So langsam füllten sich die Kirchenbänke. Zum Dank begleitete Pfarrer Kaslatter den Bürgermeister anschließend ins Unterganzner, wo die Gemeindeführung vor dem Volk in Schutz zu nehmen war. Zuletzt hatte es die stets unzufriedene Bevölkerung gegen die steigenden Benzinpreise und forderte, zum Ausgleich die Gemeindegebühren zu senken. „Die Gemeinde nagt am Hungertuch“, flehte Grüner um Verständnis, das aber nicht kam. „Ihr sitzt da im Warmen und macht eure Beschlüsse – und wir?“, lästerte einer. Das war ein Steilpass für Grüner: „Zum Zeichen unserer Verbundenheit mit dem Volk schalten wir die Heizung im Rathaus ab“, kündigte er an. Das Staunen wurde alsbald durch den nächsten Vorwurf unterbrochen: „Das ist keine Leistung, ihr sitzt ja den ganzen Tag im Unterganzner!“ Finanzassessorin Hedwig Helfer machte sich vorsichtshalber dünn. Sie wusste, dass es keine Müllgebührensenkung geben würde. Im Gegenteil.

„Und dann, liebe Gläubige“, hub Kaslatter die Predigt an, „dürft ihr nicht zürnen, wenn dereinst der Zinsgroschen sich erhöht. Wir sind ja alle für das Gute und die Beseitigung des Übels“, sagte Pfarrer Kaslatter und zitierte dabei das Matthäus­evangelium eine Zeile über dem Kaisersatz. Alsbald füllte sich die Kirche mit Murren und leerte sich von Gläubigen.

Kaslatter und Grüner begaben sich wieder ins Unterganzner. Niemand setzte sich mehr zu ihnen. Kirche und Politik waren jetzt zusammen allein.

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