Flaneid

Das Papier zur Not

Aus ff 16 vom Donnerstag, den 21. April 2022

Schluss mit schlechten Nachrichten! Einfach einmal abschalten! Wirt Unterganzner machte es den Gästen vor.

Ihr zwei setzt euch zusammen an diesen Tisch“, befahl Wirt Coelestin Unterganzner. Seit vertrauliche Gespräche mit unflätigen Betitelungen nach außen gedrungen waren, konnten Bürgermeister Daniel Grüner und Max Minder, Obmann der regierenden Bürgerliste Harpf, nicht mehr miteinander. Mussten aber. Dafür sorgte schon der Wirt: „Jetzt ist Saison, ich brauch’ die anderen Tische für die Gäste. Ab heute gibt’s keine Bozner Sitzplätze mehr.“ Damit meinte er eine weitum bekannte Gepflogenheit der Landeshauptstädter, in großen Abständen voneinander zu sitzen, und das nicht erst seit Corona.

„Hmpf“, begrüßten sich die beiden wortlos. Stille Stunden in gepaarter Einsamkeit, die nur unterbrochen wurde, wenn andere Flaneider im Vorbeigehen grüßten. Dann herrschte Einigkeit: „Ja, Servus, du!“

Der Bozner meldete die neuesten Zahlen zu Corona und zur Ukraine. Unterganzner schaltete das Radio ab: „Jetzt ist Saison!“ Normaler­weise ärgerte er sich über den Staatsfunk, wenn dieser schlechtes Wetter meldete und die Touristen verschreckte. Für so etwas zahlte er nicht die Gebühren!

Langsam füllten sich die Tische mit den Gästen, auf die man zwei Winter hart gewartet hatte. Feiertage und Sonne hatten zusammengehalten. „Und, zufrieden?“, fragte der Ziggl-Franz und deutete von seinem Stammplatz am Budel aus auf die Touristenschar. „Wie meinst du das?“, fragte Unterganzner irgendwie pikiert. Ein echter Wirt war nie zufrieden, das hatte die Branche von den Bauern, den Handwerkern, den Freiberuflern und den Lohntütenabhängigen gelernt, praktisch von allen. Mehr war immer möglich, deuteten die Mundwinkel des Wirts an.

„Ein Radrennen?“ Einerseits war Unterganzner froh, dass der Bürgermeister ihn vorab um sein Einverständnis ersuchte, schließlich verkörperte er als Besitzer aller 14 Flaneider Hotels die ganze Branche im Dorf. Aber er musste noch nachdenken. Ein kleines Radrennen bedeutete nur Straßensperren und hinderte die Gäste daran, nach Flaneid zu kommen. Ein großes brachte Zuschauer mit sich, die auch einkehrten. Ein zu großes bedeutete Stau und Stillstand, zu viele Gäste, die er nicht zufriedenstellen konnte und die dann auch nie wieder kamen. Und dann waren da auch noch die Einheimischen und ihr zartes Gemüt. „Nein“, entschied er, er würde anderswie dafür sorgen, dass die Saison gesichert war.

Er blickte zum Ziggl-Franz hinüber, der auch ein Einheimischer war und jetzt schon wieder irgendwas wollte. „Was, 1,50 Euro das Glasl vom Fass?“, protestierte der Franz. „Es ist Krieg!“, antwortete Unterganzner, um sich gleich zu korrigieren: „Äh, ­Saison hab’ ich gemeint.“

Der Bozner unterbrach die Musik wieder mit den blöden Nachrichten. Unterganzner schaltete wieder ab. Corona, Rohstoffknappheit, Krieg, Energiepreise – wie viele Krisen hintereinander verträgt eigentlich ein Mensch? Das musste aufhören! „Corona ist jedenfalls vorbei“, sagte der Wirt. „Bist du sicher?“, grinste Gemeindearzt Kaspar Hertz, der schon viele Geschichten vom Ende der Pandemie abgehakt hatte. „Das können wir jetzt jedenfalls nicht gebrauchen, jetzt ist Saison!“, dekretierte Unterganzner.

„Da hinten“, deutete er auf einen leeren Tisch. Er hatte die Spitze des Flaneider Tourismusvereins herbestellt, um ihnen ein neues Werbekonzept zu unterbreiten, das sie, angesichts seines Anteils an ihrem Budget, nicht ablehnen konnten.

„Wir müssen den Augenblick nutzen“, erklärte er den vier Nickköpfen, „wir müssen den Deutschen, diesen Hamsterkäufern, zeigen, dass wir jede Krise im Griff haben, dass sie sich bei uns sicher fühlen können.“ Er zeigte ihnen den Entwurf, eine malerische Flaneider Landschaft und darüber den Spruch, der Sicherheit gab: „Wir haben auch Klopapier!“

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