Flaneid

Die Volkszornableiter

Aus ff 22 vom Mittwoch, den 01. Juni 2022

Die Flaneider Gemeindeführung sah das Ergebnis des Referendums nicht als Denkzettel. Und erklärte dies dem Volk auch tatkräftig.

Jetzt kommen sie!“ Bauernobmann Emil Harasser kam von seinem Wachposten zurück ins Gasthaus Unterganzner. Zusammen mit seinen Kollegen Toni Steiger und Franz Ebenwieser hatte er schon ganz früh das Lokal aufgesucht, um dem Gemeindeausschuss aufzulauern, der im Unterganzner regelmäßig seinen Arbeitstag mit einem Kaffee begann und dann sitzen blieb. Der Ausschuss kam, sah nichts und setzte sich.

„He, he, he, he.“ Mit einem schadenfrohen Lachen, tief aus den hohlen Stockzähnen, begrüßten sie die Gemeindeführung. „Das war wohl ein Denkzettel, was?“, sagte Harasser direkt zu Bürgermeister Daniel Grüner, laut genug, dass es alle hören konnten.

„Was war ein Denkzettel?“, fragte Grüner. Harasser wunderte sich über die Frage: „Ja, das Referendum!“ „Ach so, das“, antwortete Grüner, der gerade die Ausschreibung für das -Schwarzwasser in der Haspingerstraße im Kopf hatte und keine Zeit für weltbewegende Fragen. Damit ließ sich Harasser nicht abspeisen: „Das war eine ordentliche Watschn für euch und alle in der Regierung!“ „Über was ist denn abgestimmt worden?“ „Ja, über, über … ist ja egal. Die Bürger haben jedenfalls deutlich nein gesagt, zu euch und euresgleichen!“

Grüner antwortete nicht darauf und wandte sich wieder seinem Ausschuss zu: „Müssen wir uns Sorgen machen?“ Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, blätterte in der Zeitung, um die Lage einzuschätzen: „76 Prozent Nein, das ist schon deutlich. Allerdings sind nur knapp 23 Prozent wählen gegangen.“ „Und nach Gemeinden?“, fragte Sozialassessorin Milli Minder. Klotz fand die Tabelle. „Moment, Moment, Feld-thurns, Flotzbis, Fochina, Foltrui, Franzensfeste, Freienfeld … Sowas! Flaneid fehlt da! Geh, ruf’ einmal an“, befahl sie ihrem Bürgermeister. Grüner sah per Handy im Rathaus nach dem Rechten und hatte dann die Ergebnisse: „0,2 Prozent Wahlbeteiligung.“ Mit solchen Spurenelementen gab sich nicht einmal ein Wahlcomputer ab. Flaneid war damit eine Gemeinde unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. „Übrigens, auch bei uns hat das Nein haushoch gewonnen“, fügte der Bürgermeister hinzu. „Und in absoluten Zahlen? Wie viel Nein?“ „Drei.“ „Die drei da drüben“, schätzte Klotz, „wenn ich jetzt zu denen hinübergehe, dann zeige ich ihnen, was eine handfeste Mehrheit ist. Tun, als hätte man weiß Gott was gewonnen und dann noch blöd über andere reden!“

„Tu’s nicht“, flehte Max -Minder, Obmann der regierenden Bürgerliste Harpf. Er wusste, dass Klotz mit ihrer nicht
nur politischen Kraft spielend mit den drei schadenfrohen Mitbürgern fertigwerden würde. Aber irgendwann waren wieder Wahlen. Und da konnten auch drei Stimmen etwas bewegen, wie man gerade gesehen hatte.

Das Flaneider Abstimmungsergebnis war zwar nicht aussagekräftig, aber Stoff genug für Gerede und wildeste Exegesen. Manche Gasthausbesucher sahen darin einen Sieg der Demokratie, andere einen Denkzettel für „die da oben“, wieder andere sahen die Wende kommen. Ähnlich fantasiereich waren die Begründungen, warum man nicht hingegangen ist, von Zahnweh bis Schwiegermutterbesuch.

„Alles schön und gut“, schimpfte Max Minder, „aber mit Flaneid hat das wenig zu tun.“ Flaneid wurde von vier Bürgerlisten regiert, die SVP hielt sich heraus und forderte dafür „Herwärtsschauen“ bei übergemeindlichen Wahlen. Und die Bürgerlisten sahen nicht ein, dass sie den Volkszorn abbekommen sollten, der der SVP galt. „Wir müssen den Leuten das erklären.“

Olga Klotz nickte und ging zu den drei Schadenfrohen. Sie klärte sie über die politischen Zusammenhänge auf, wie sie sie eben von Minder gehört hatte, und verpasste Harasser eine nachhaltige Watschn: „So, jetzt habt ihr wenigstens einen Grund, auf uns sauer zu sein.“

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