Leserbriefe

Wenn alle Dämme brechen

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 14. Dezember 2023

Die SVP will mit den Fratelli d’Italia die Landesregierung bilden. „Panorama“-Meldung in ff 49/23

Nun steht zumindest die Absichtserklärung der SVP, mit eindeutig erkennbaren Rechtsparteien eine Landesregierung bilden zu wollen. Ich verheimliche nicht, dass ich mir eine andere Variante gewünscht hätte. Zu unterschiedlich sind die Zugänge der ins Boot genommenen Strömungen in Bezug auf ein Zusammenleben aller Sprachgruppen und anderer Minderheiten (Sinti/Roma, Suchtkranke, Flüchtlinge, Ausländer generell etc.) sowie zu wichtigen sozialpolitischen und bildungspolitischen Themen.

Nun, laut Aussage der zwei Hauptakteue dieses Deals sollen in einer einvernehmlich abgesegneten -Präambel „gemeinsame Werte“ verankert werden, aufgrund derer ein politisches Arbeiten zum Wohle Aller in den nächsten fünf Jahre gesichert sein sollte. Bei der an die Sitzung der SVP anschließenden Presse-konferenz wurden von Seiten der SVP als „unverzichtbare Werte“ genannt, man lese und staune: „Eine klare, positive Haltung zur EU und zur Autonomie“.

Ist das der einzige anzustrebende gemeinsame Nenner? Wo bleiben die in der Vorwahlzeit so oft in den Mund genommenen Werte wie Ehrlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Recht auf einen gerechten Lohn, mit dem der Arbeiter auch die Lebenshaltungskosten abdecken kann? Wo bleibt das Recht auf ein Dach über dem Kopf für alle, wo der Wert von Inklusion statt Ausgrenzung? Wo liegt in der Werteskala ein öffentliches Gesundheitswesen, das für alle Menschen in unserem Land zu gleichen Begingungen zugänglich ist und alle Leistungen garantiert? Wo bleibt der Kampf gegen Steuerhinterziehung wodurch man den Landeshaushalt um zwei Milliarden aufstocken und viele sozialpolitisch relevante Projekte finanzieren könnte? Wo steht der Schutz unserer Umwelt als derzeit oberste Priorität? Und wäre nicht Wirtschaftsschrumpfung statt weiteres Wirtschaftswachstum, angesichts der Gesamtmenge an Problemen in unserer Gesellschaft, auch ein überlebensnotwendiger Wert?

Über die genannten Werte und die Umsetzung entsprechender Maßnahmen wird man sich in dieser – aus reinem Opportunismus und Hörigkeit der Regierungskonstellation in Rom entstandenen Zwangsehe – wohl streiten, bzw. auf einige dieser Werte kann man um des politisch Machbaren Willen auch verzichten. Hauptsache EU und Autonomie bleiben unantastbar.

Sicherung der Autonomie und positive Einstellung zur EU gut und recht, ist mir aber als Wertschätzungs-basis für eine Landesregierung und Landespolitik generell zu wenig.

Josef Gasteiger, Sterzing