Leserbriefe

Betonköpfiger geht es nicht?

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 07. März 2024

Über die prekäre Lage der Kinderbetreuung

Unsere Gesellschaft und Wirtschaft setzt auf die Sozial- und Gesundheitsberufe, die die Pflege und Betreuung gewährleisten, und auf die Menschen, die ohne rentenversichert zu sein, Kinderbetreuung und Pflege übernehmen (vorwiegend Frauen). Die Gesellschaft tendiert dazu, Betreuung, Pflege und Erziehung auszulagern und das alles, damit ein Teil der Bevölkerung ihrer Arbeit nachgehen und Familie und Beruf vereinbaren kann.

Das ist verständlich und nachvollziehbar, aber dafür braucht es mehr als nur eine einseitige Betrachtung. In Südtirol gibt es insgesamt 15 Horte, 108 Kitas und 226 Tagesmütter, das sind rund 3.900 Betreuungsplätze für Kinder im Alter zwischen null Monaten und drei Jahren. Bei 5.173 Kindern (2021) werden die Betreuungsplätze nicht reichen, obwohl nicht alle einen Betreuungsplatz brauchen werden.

Im März 2023 wurden über den staatlichen Wiederaufbaufonds (PNRR) für Investitionen in den Kleinkindbereich insgesamt 42 Millionen Euro für Südtirol ausgeschüttet. Das bedeutet konkret, dass 34 Gemeinden über den Recovery-Fonds eine Finanzierungszusage für einen Kita-Bau erhalten haben, die Summe dürfte sich auf 54 Millionen Euro belaufen.

Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, wie viel Geld für den Bau neuer Kitas zur Verfügung steht. Die Investitionen in das Personal werden dagegen immer noch zu klein gedacht. Dabei wissen alle, dass es in allen Branchen an Mitarbeiterinnen fehlt und es höchst angesagt wäre, in diese zu investieren, um die geforderte flächendeckende Kinderbetreuung zu gewährleisten. Mitzudenken ist, dass auch die Menschen, die diese Dienstleitungen erbringen, sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kümmern müssen.

Nicht nur die Wirtschaft verliert jährlich Fachkräfte, weil jährlich circa 1.000 Mütter während des ersten Lebensjahres ihres Kindes kündigen, sondern auch der Sozialbereich. Ein immer Mehr wird bei immer weniger Mitarbeiterinnen schwer umsetzbar sein. Bei den Mitarbeiterinnen für Integration erleben wir derzeit (darauf machen wir seit 2016 aufmerksam) die Situation, dass viele von ihnen in „erzwungener Teilzeit“ arbeiten müssen – und deshalb den Bedürfnissen der betroffenen Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigung nicht immer nachkommen.

Hier muss das Stellenkontingent unbedingt erhöht werden, das wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

Wenn grundlegende Reformen der Bildungs- und Betreuungsmodelle gelingen sollen, müssen die Mitarbeiterinnen, die Dienstleitungen erbringen, miteinbezogen werden. Denn eine
einseitige Darstellung der Situation erzeugt nur Gegendruck.

Marta von Wohlgemuth, Geschäftsführung des Landesverbandes der Sozialberufe, Bozen

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