Leserbriefe

Keine Angst vor dem Volk

 

Die gescheiterten ­Referenden und die direkte Demokratie: Leitartikel in ff 24/25

Soeben haben wir zum x-ten Mal das Scheitern eines ­Referendums erlebt. Seit 1995 sind alle abschaffenden Referenden mit einer Ausnahme am Beteiligungsquorum von 50 Prozent gescheitert.

Der Grund liegt auf der Hand: Breite Teile der Wahlberechtigten haben das Vertrauen in die Wirksamkeit dieses Instruments verloren. Warum zu den Urnen gehen, wenn dann ohnehin alles umsonst ist? Man weiß es nicht erst seit dem 9.6.2025, sondern seit 30 Jahren: Das Quorum ist hinderlich, unbegründet, kontraproduktiv. Hier sechs gute Gründe für seine Abschaffung:

1. Ein Quorum führt dazu, dass die Stimmen der echten Gegner mit jenen der Nichtwähler summiert werden. Bei jedem Urnengang gibt es 100 Gründe, warum viele Wählerinnen fernbleiben. Das darf fürs Ergebnis nicht zählen!

2. Bei einem Quorum von
50 Prozent müssen die ­Gegner eines Referendumsantrags sich gar nicht inhaltlich damit auseinandersetzen. 30 Prozent gehen ohnehin nicht zur Urne. Die Gegner brauchen nur 20 Prozent der Wähler mit einem Boykott­aufruf erreichen, und die Partie ist erledigt.

3. Das Quorum ist der Tod der demokratischen Ausei­n­andersetzung. Neben den direkten Boykottaufrufen gibt es in Italien auch einen Informationsboykott. Sogar die öffentlich-rechtlichen Medien informieren bei den Referenden die Bürger kaum.

4. Bei den Wahlen der ­politischen Vertreter gibt es kein Beteiligungsquorum, obwohl die Gewählten uns dann fünf Jahre lang ­regieren und jede Menge Regeln ­s­etzen, nicht nur eine.

5. Die Angst, dass ohne Quorum eine kleine, sehr aktive Minderheit über die Köpfe der schweigenden Mehrheit entscheiden könnte, ist unbegründet. Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, fühlen sich alle angesprochen. Der mündige und informierte Bürger muss selbst entscheiden können, was wichtig ist und wann er sich beteiligen will.

6. In der Schweiz, in den USA und anderen Ländern mit fortgeschrittener direkter Bürgerbeteiligung gibt es kein Quorum, hat es nie gegeben. Die Beteiligung bei den Volksabstimmungen in der Schweiz liegt im Durchschnitt bei 40 Prozent, doch niemand fordert die Einführung eines Quorums.

Die einzige Möglichkeit, das Referendum wieder wirksam zu machen und das ­Vertrauen in dieses Verfahren wiederherzustellen, liegt in der Abschaffung des Beteiligungsquorums: Es sollte die einfache Grundregel gelten: Wer wählt, entscheidet, wer den Urnen fernbleibt, ­überlässt die Entscheidung den anderen.

Thomas Benedikter, Eppan

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