Leserbriefe

Es hilft nichts, außer reden

Der Boykott der Lehrpersonen, die grobe Haltung des Landes. Leitartikel von Georg Mair in ff 44/25

Lehrerinnen und Lehrer stehen in Südtirol dieser Tage am Pranger. Der Vorwurf: Sie würden ihre Gehaltsforderungen auf dem Rücken der Kinder austragen. Schulprojekte und Ausflüge stünden angeblich still, während die Pädagoginnen für mehr Lohn und bessere Bedingungen protestieren.
Ein Vorwurf, der gut klingt – aber schlicht an der Realität vorbeigeht.
Tatsächlich kämpfen die Lehrkräfte nicht gegen die Kinder, sondern für eine Schule, die funktioniert: für Personal, das nicht ständig ausgebrannt ist, für Rahmenbedingungen, die es überhaupt ermöglichen, diesen Beruf langfristig mit Leidenschaft auszuüben. In einem System, das Jahr für Jahr mehr Aufgaben, mehr Bürokratie und mehr gesellschaftliche Erwartungen auflädt – aber kaum mehr Wertschätzung und faire Entlohnung bietet.
Und während man Lehrerinnen und Lehrer moralisch an den Pranger stellt, blickt die Gesellschaft auffallend milde auf jene, die tatsächlich Macht und Gestaltungsspielräume haben: die Politik.
Genau hier liegt der Kern des Problems: Wenn Politiker, die eigentlich Vorbilder sein sollten, ständig in Affären verwickelt sind, lernen junge Menschen, Misstrauen zu hegen. Es entsteht der Eindruck, dass Regeln für manche gelten, aber nicht für die Mächtigen oder Einflussreichen. Das widerspricht ganz klar den Werten, die wir im Bildungssystem vermitteln wollen – Fairness, Transparenz, Verantwortungsbewusstsein.
Die Liste der politischen Affären in Südtirol ist lang – und sie ist gesellschaftlich bekannt:
• Almhütten-Affäre
• Masken-Skandal
• 600-Euro-Bonus
• Sad-Affäre
• Abhör-, Spesen- und Fahrtenskandale
Jede dieser Affären hat Spuren hinterlassen: nicht nur in Amtsstuben, sondern im Vertrauen der Bevölkerung. Und während Lehrkräfte heute für ein paar Hundert Euro mehr im Monat demonstrieren, verdienen Politiker ein Vielfaches – und bleiben selbst bei Fehlverhalten oft unbehelligt.
Wer also Lehrpersonen als moralische Instanzen einfordert, muss auch bereit sein, dieselben Maßstäbe an sich selbst zu legen. Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Forderungen an andere, sondern durch eigenes Handeln.
Es ist bezeichnend: Lehrerinnen und Lehrer müssen erklären, warum sie für ihre Rechte einstehen. Politiker müssen selten erklären, warum sie trotz Affären immer noch im Amt sind.
Das ist die eigentliche Schief­lage in dieser Debatte.
Wenn die Politik Vertrauen in Schule und Gesellschaft wirklich stärken will, dann nicht durch Schuldzuweisungen, sondern durch ehrliche Selbstreflexion, Transparenz und Vorbildwirkung. Die Jugend sieht sehr genau hin. Und sie merkt, wer es ernst meint – und wer nicht.

Hannes Hofer, Mals

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