Leserbriefe

Südtirols einflussreichste Anwältinnen und Anwälte

Titelgeschichte in ff 47/25 über die Spitzenleute der Branche

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Bozen sieht sich zu einer kritischen Stellungnahme zu der Titelgeschichte über „Südtirols einfluss-reichste Anwältinnen und Anwälte“, veröffentlicht in der Ausgabe des Südtiroler Wochenmagazins ff 47/2025 ab Seite 20, gezwungen, um einige grundlegende Prinzipien zu betonen:

In der Anwaltschaft gibt es keine Ranglisten. Es gibt keine Anwälte und Anwältinnen „der ersten Liga“ und „der zweiten Liga“, ebenso wenig kann der berufliche Wert anhand der Medienpräsenz, der Häufigkeit von Interviews oder der Bekanntheit der vertretenen Mandanten gemessen werden. Der Anwaltsberuf übt eine wesentliche Funktion für die Umsetzung der Justiz aus und kann nicht auf ein Wettbewerbs- oder journalistisches Phänomen reduziert werden. Jede Anwältin und jeder Anwalt übt ihre beziehungsweise seine Tätigkeit im Rahmen berufsethischer Pflichten aus, die Unabhängigkeit, Vertraulichkeit, Besonnenheit und Loyalität in den Vordergrund stellen.

Auch wenn in den Prämissen zu der Titelgeschichte klar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Artikel nicht eine Rangliste der besten Anwälte Südtirols enthält, wird der Leser Ihres Wochenmagazins unserer Auffassung nach genau dies wahrnehmen. Er wird zu der Annahme verleitet, dass ein Anwalt oder eine Anwältin, die namhafte Mandanten haben, politische Ämter bekleiden, sich mit Fällen befasst haben, die in den Medien für Aufsehen gesorgt haben, eine größere Kanzlei haben, in den sozialen Medien präsent und schließlich „einflussreicher” sind (eine fragwürdige Einschätzung), automatisch bessere Anwälte sind als andere. Dies ist nicht der Fall, und diese Darstellung schadet allen Anwälten und Anwältinnen, die ihren Beruf mit Kompetenz und Leidenschaft ausüben, aber fernab vom Rampenlicht, von der Politik und von „wichtigen” Kreisen stehen. Und indem die Darstellung der „einflussreichsten Anwältinnen und Anwälte“ indirekt denen Werbung verschafft, die diese nicht nötig hätten, benachteiligt sie vor allem die jüngeren Kollegen und Kolleginnen, denen es nicht an Hindernissen mangelt, um sich in einem immer anspruchsvolleren Beruf eine Zukunft aufzubauen.

Die tatsächliche berufliche Kompetenz wird im Gerichtssaal, in den Verteidigungsschriften, im täglichen Studium der Fälle und im konkreten Schutz der Rechte – auch und vor allem der Schwächsten – gemessen, nicht auf den Seiten einer Wochenzeitschrift.

Die Südtiroler Anwaltschaft ist eine pluralistische und geschlossene Berufsgemeinschaft, die sich aus Kolleginnen und Kollegen zusammensetzt, die oft fernab vom Rampenlicht arbeiten und täglich komplexe Verteidigungen, unentgeltliche Rechtsbeistände, den Schutz von Gewaltopfern, die Betreuung von Minderjährigen sowie Präventions- und Beratungstätigkeiten gewährleisten. Es handelt sich um grundlegende Aufgaben, die kaum Schlagzeilen machen, aber das authentischste und sozial relevanteste Herzstück unseres Berufsstandes bilden.

Wir halten es für unsere Pflicht, darauf hinzuweisen, dass vereinfachte Darstellungen, wie die Erstellung von „Ranglisten” oder die Zuweisung von Prestigerollen auf der Grundlage der öffentlichen Präsenz, die Gefahr bergen, ein verzerrtes Bild der Anwaltschaft zu vermitteln.

Solche Darstellungen können die Bürger und Bürgerinnen dazu verleiten, ihren Verteidiger aufgrund seiner Bekanntheit und nicht aufgrund der für den einzelnen Fall erforderlichen tatsächlichen Kompetenzen auszuwählen, was zu falschen Erwartungen und potenziellen Vorurteilen führen kann.

Die Presse spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft und bei der Verbreitung von Informationen, aber es ist aus unserer Sicht wünschenswert, dass sie Darstellungen vermeidet, die den Anwaltsberuf auf ein Popularitätsspiel reduzieren. Der berufliche Wert einer Anwältin oder eines Anwalts wird nicht durch eine mediale Schlagzeile erlangt, sondern entsteht durch die Qualität seiner Arbeit, seine ethische Strenge, die Einhaltung der Standesregeln, seine Fähigkeit zuzuhören und seinen täglichen Dienst an der Gemeinschaft.

Die Rechtsanwaltskammer Bozen wird weiterhin das Ansehen und die Würde des Anwaltsberufs schützen und nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Verteidigung der Rechte – aller Rechte, auch derjenigen der Schwächsten – nicht Gegenstand von Klassifizierungen oder Ranglisten sein darf.

Karl Pfeifer, Präsident der Rechtsanwaltskammer Bozen

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