Außensicht

Rückschritt oder Fortschritt: Falsche Heldinnen

Japan hat endlich seine erste Premierministerin. Eine Frau! Jubel in den Schlagzeilen, ein Häkchen auf den Gleichstellungslandkarten. Wieder ein Land, das von Frauenhand geführt wird. Endlich Gleichstellung, endlich Fortschritt. Nur dumm, dass Feminismus und Fortschritt nicht automatisch Hand in Hand gehen. Schon gar nicht, wenn die, die vorne steht, die Tür hinter sich wieder zuschlägt.
Sanae Takaichi, die neue Premierministerin Japans, ist nämlich alles, nur keine Freundin des Fortschritts. Gegen die Ehe für alle, für gemeinsame Nachnamen in der Ehe (natürlich den des Mannes). Und die Vorstellung, dass nur Männer Kaiser werden dürfen, findet sie offenbar ganz entzückend. Ihr Idol: Margaret Thatcher, die „Eiserne Lady“. Ihr Förderer: Shinzo Abe. Ihr Motto könnte lauten: „Frauen an die Macht. Aber bitte so, dass keiner merkt, dass wir welche sind.“
Kommt bekannt vor? Giorgia Meloni lässt grüßen. Auch sie wurde einst als Symbol weiblicher Emanzipation gefeiert, zumindest von denen, die nie ihr Parteiprogramm gelesen haben. Frauenrechte? Familienmodell 1950. Freiheit? Nur, solange sie ins Wertebild passt. Und trotzdem: Sie ist eine Frau. Also feministischer Sieg, oder?
Der Feminismus hat ein Problem: Er verwechselt oft Geschlecht mit Gesinnung. Feiern wir wirklich jede Frau an der Spitze, selbst wenn sie von dort aus anderen Frauen das Leben schwerer macht? Oder zumindest nicht leichter? Das ist, als würde man die gläserne Decke zerschlagen und sich darüber freuen, nur um danach die Splitter sorgfältig wieder einzusetzen.
Klar, Macht ist Macht. Aber wer Gleichstellung ernst meint, sollte sich nicht mit Symbolen zufriedengeben. Denn Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass Frauen alles dürfen, was Männer auch tun. Sondern dass sie auch dann kritisiert werden müssen, wenn sie es genauso schlecht machen.

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin und Journalistin

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