Außensicht

Zeitungen: „E si vedono i risultati“

Eine bange Frage treibt mich um: Wird überhaupt gelesen, was zu schreiben ich mich da regelmäßig bemühe? Ich mache Erfahrungen, die meinen Glauben an den Journalismus erschüttern. Es war vor etwa zwei Jahren, ein Sonntagvormittag in Venedig. Meine Frau und ich suchten nach einem Zeitungsstandl und mussten die Erfahrung machen, es gibt fast keine mehr. Endlich, an einem Campo nahe Rialto, fanden wir eins. Der Kiosk war zugepflastert mit dem üblichen Ramsch, und hinter dem Guckloch grüßte eine freundliche ältere Frau heraus. Ich fragte, warum denn die vielen Kioske verschwunden seien. Ob denn niemand mehr Zeitung lese. Darauf die Frau knapp: „Appunto. E si vedono i risultati.“
Mit den „Resultaten“ meinte die Zeitungsfrau den Sieg von Italiens Rechtsparteien mit Giorgia Meloni bei den Parlamentswahlen vom Sonntag vorher. Ich bin seither voller Bewunderung für den Glauben dieser Frau ans Zeitungslesen: Die Leute lesen nicht mehr Zeitung, und wen wundert’s? Sie wählen rechts.
Letzte Woche waren wir wieder in Venedig. Den Zeitungsstand der tapferen Frau gibt’s nicht mehr. Nach längerem Suchen und Fragen werden wir fündig: zwar keine ortstypische „Edicola“, nur eine Art Fensterbrett mit viel Mist und einigen wenigen ausgelegten Zeitungen. Dahinter keine Zeitungsfrau und kein Zeitungsmann, ein Vucumprà, der die gängigsten Zeitungen auch im Sortiment hat.
Ich lüge nicht: Wir sind in einer Woche auf Venedigs Campi und Calli keinem Menschen mit Zeitung begegnet. Sind sie alle ins Smartphone verschwunden? In unserm Lieblingscafé „del doge“ steht an der Stirnwand angeschrieben das schöne Claudio-Magris-Zitat: „Il cafè è una accademia platonica. In questa accademica non si insegna niente, ma si imparano la socievolezza e il disincanto. Si può chiacchierare, raccontare, ma non è possibile predicare, tenere comizi, far lezione.“
Als wir Zeitung lesen und dafür etwas Platz und Zeit brauchen, weist uns die Bedienung darauf hin, ob wir doch irgendwann Platz machen würden. Tatsächlich, vom Lesen im Café steht an der Wand nichts.

von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff